von Nina Keim/aktiviererblog.de
Ende Juli 2012 hatte ich die Möglichkeit, an einem viertägigen Workshop zum Thema „Digital Storytelling“
teilzunehmen. Unter Digital Storytelling ist allgemein das bewusst subjektive Erzählen von Geschichten in einem
Kurzfilm zu verstehen. Gekoppelt mit einem thematischen Schwerpunkt können so selbst komplexe Politikfelder in personalisierte Erlebnisberichte herunter gebrochen und für eine breite Zielgruppe verständlich dargestellt werden.
Geschichten von Bürgern für Bürger
Digitale Geschichten entfalten ihr volles Wirkungspotential durch die geschickte Kombination von Bild, Ton, Erzählstrukturen und Stimmen, die in ihrer Gesamtheit Charaktere, Situationen, Erfahrungen und Erlebnisse aufleben lassen. Nicht zuletzt durch den Wandel der Bürger vom Medien-Konsumenten zum Medien-Produzenten ist das Digital Storytelling zu einem wahrhaften Bürgermedium geworden. Die Preise für das notwendige technische Equipment sind in den vergangenen Jahren stark gesunken. Zudem bieten Smartphones, Flipcams und andere Kompaktaufnahmegeräte die Möglichkeit, eigene Filme mit einem Minimalbudget und Minimalaufwand im eigenen Wohnzimmer zu produzieren.
In den Erzählmodus wechseln
Organisiert vom Grimme-Institut im Rahmen des NRW denkt nach(haltig)-Projekts konnten zehn Teilnehmer/-innen die Grundlagen der digitalen Erzählkunst anhand der Produktion eines eigenen Kurzfilms zum Themenkomplex Nachhaltigkeit erlernen. Der Workshop war in fünf Blöcke aufgeteilt, welche chronologisch betrachtet ebenfalls den Produktionsprozess einer digitalen Geschichte abbilden.
Ganz zu Beginn standen das Briefing und der Story Circle. In dieser Phase des Workshops schaffte Trainer Steve Bellis die Grundlagen für die Produktion unserer Videos. Wir erfuhren, was genau unter Digital Storytelling zu verstehen ist, wer die Mitbegründer bzw. einflussreichen Storyteller weltweit sind und wie wir selbst in einen
„Erzählmodus“ wechseln. Für mich hieß das in erster Linie, nicht mehr in Argumenten und Fakten zu denken, sondern in Geschichten, die diese Argumente eher subtil tragen.
Im Story Circle haben wir anhand von kleinen Übungen und Spielen gelernt, ein Gefühl für das Geschichtenerzählen zu entwickeln. Hier spielt vor allem „die Geschichte hinter der Geschichte“ eine besondere Rolle. Jedes Foto, jedes Medium gibt eine Geschichte als solches bereits preis, doch die interessanten und bewegenden Geschichten sind auf den ersten Blick verborgen.
Nachhaltigkeit ein Gesicht geben
Für unsere eigene digitale Geschichte ging es im Story Circle darum, das komplexe Thema der Nachhaltigkeit in eine persönliche Geschichte zu überführen und somit der Nachhaltigkeit ein Gesicht zu geben. Ich habe mich für das Thema Lebensmittelverschwendung entschieden. Inspiriert von der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung (13 Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung:
http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Themen/Nachhaltigkeitsstrategie/_node.htm),
einer aktuellen Kampagne des Bundesverbraucherministeriums (14Kampagne „Zu gut für die Tonne“ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
http://www.bmelv.de/DE/Ernaehrung/Wert-Lebensmittel/ZuGutFuerDieTonne/node.html) und
einem Fraktionsbeschluss der grünen Bundestagsfraktion (15Fraktionsbeschluss vom 17. Januar 2012: Grüne Forderungen zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung:
http://gruene-bundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/401/401105.lebensmittelverschwendung.pdf) war es mein Ziel, das Thema Lebensmittelverschwendung auf eine persönliche Perspektive herunterzubrechen, die verdeutlicht, dass jede/-r einzelne sein/ihr Bewusstsein schärfen sollte.
In der zweiten Phase des Workshops galt es dann, die Idee der Geschichte in ein Script von ca. 250 Worten zu überführen. Kurze Sätze, eine aktivierende Sprache und vor allem ein persönlicher Bezug (also viel „ich” und wenig „man”) sollte vermittelt werden.
Hier ist mein Script: Lunch Challenge
I was sitting at lunch the other day, once again struggling to finish up the large portion I was served. Although feeling bad about it, I had to send the rest back knowing it would end up in the restaurant’s trash can. As a full time employee I regularly go out for lunch but most of the time I just cannot finish the plate. I started wondering. If I were to go out for lunch five days a week, 52 weeks per year, that makes 260 meals per year possibly ending up as unnecessary trash. Statistics suggest that roughly one-third of food produced for human consumption is lost or wasted globally. That’s 1.3 billion tons per year. In industrialized countries like Germany, food gets lost when production exceeds demands. That is just what happens during my lunch break. Although eating delicious food, the prepared meal simply
beyond my needs. I knew something had to change. I have started asking for doggie bags to take the leftovers home with me and some restaurants even offer halfsize portions at a reduced price – a convenient solution for everyone. After all, it is just a matter of becoming aware of our behavior and valuing the food we are consuming. (16 Link zur digitalen Geschichte „Lunch Challenge“ auf YouTube: http://youtu.be/8BlrZJG-lKw).
Als nächster Schritt stand die Tonaufnahme auf dem Programm, um die Tonspur für das zu erstellende Video möglichst schnell fertig zu stellen und anschließend mit dem Storyboarding zu beginnen. In einem Storyboard wird für jeden Satz des fertigen Scripts ein Bild oder Video festgelegt. In einer zweispaltigen Tabelle zusammengefasst entsteht somit die Grundlage für den letzten Teil des Workshops, die Filmbearbeitung am Computer (Editing).
Nach vier Tagen voll mit neuen Eindrücken und interessanten Gesprächen hatte jede/-r Workshopteilnehmer/-in ein eigenes Video produziert. Sicherlich wird der/die eine oder andere noch ein bisschen an den Feinheiten des Videos arbeiten, aber alles in allem sind wunderbare Kurzgeschichten zu den unterschiedlichsten Themenbereichen
– von Internetsucht über Einwanderung bis hin zu Technikmüll – entstanden. Jede einzelne Geschichte erzählt auf eine ganz individuelle Weise, was Nachhaltigkeit bedeutet.
Geschichten erzählen statt Fakten rezitieren
Für mich war der Workshop im wahrsten Sinne ein Aha-Erlebnis. Selbst für jemanden, der sich beruflich mit Kommunikation befasst, war doch ein bewusstes Umdenken nötig, um in Geschichten und nicht in handfesten Fakten zu denken. Ich erkenne aber den eindeutigen Mehrwert: Über Geschichten werden Menschen erreicht.
Jede/-r kann einen persönlichen Bezug zu der Handlung herstellen und wird idealer Weise motiviert, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und sein/ihr Verhalten zu überdenken.
Nina Keim studierte Kommunikationswissenschaften mit Schwerpunkt auf politische Kommunikation und bürgerschaftliches Engagement. Nach ihrem Studium forschte sie am Center for Social Media zum Einsatz sozialer Medien zur Unterstützung gesellschaftlichen Wandels und war als Kommunikations- und Projektmanagerin für das German-American Heritage Museum in Washington tätig. Aktuell arbeitet Nina Keim als Public Affaris Beraterin in Berlin. Auf www.aktiviererblog.de bloggt sie zum bürgerschaftlichen Engagement in der digitalen Gesellschaft.
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