Jul 212014
 

Vom 27.07.2012 bis zum 30.07.2012 fand im Düsseldorfer Günnewig Hotel ein NRW denkt nach(haltig)-Workshop zum Thema „Digital Storytelling” statt, von dem an dieser Stelle berichtet wird.

Auftakt
WS-Digital_StorytellingAm vermutlich heißesten Tag des ganzen Jahres fällt in Düsseldorf der Startschuss für den Workshop von NRW denkt nach(haltig) zum Thema „Digital Storytelling“.
Die Gruppe der Teilnehmer/-innen, die sich nach und nach im Günnewig Hotel einfinden, ist bunt gemischt und
versammelt so unterschiedliche Institutionen wie das NaturGut Ophoven, CreNatur, die Deutsche Welle Akademie, die Landeszentrale für politische Bildung, das Allerweltskino sowie die Agenturen Fields und Bohnen Kallmorgen & Partner. Und doch verfolgen alle am heutigen und in den folgenden Tagen ein und dasselbe Ziel: Sie sind zusammengekommen, um persönliche Geschichten zum Thema Nachhaltigkeit zu erzählen und so neue Wege in der Umweltkommunikation zu gehen. Denn gerade das abstrakte und mitunter auch sperrige Thema Nachhaltigkeit lässt sich durch digitale Geschichten in die Alltags- und Lebenswelt einer Vielzahl von Menschen transportieren – möglicherweise auch solcher, die sich eigentlich nicht für grüne Belange interessieren.

Dies zumindest ist die Ausgangsthese, die es im Verlauf des viertägigen Workshops zu beweisen gilt. Nach einer kurzen sozialen Auflockerungsübung steigt Trainer Steve Bellis vom Yale College in Wrexham deshalb ein in die Geschichte und Theorie des „Digital Storytelling“: Wie so vieles stammt die Idee ursprünglich aus Amerika und fußt auf der Überzeugung, dass in jedem Menschen mitreißende, interessante, tief- oder ergreifende Geschichten schlummern, von denen die angehenden Erzähler selbst jedoch meist nur wenig ahnen. Die Aufgabe professioneller Storytelling-Veranstaltungen besteht eben darin, dieses verborgene oder auch verschüttete Geschichtenpotential
(wieder) ans Tageslicht zu befördern und dem umgangssprachlichen „kleinen Mann” so eine Stimme zu verleihen.

Zu den Urvätern dieser Idee zählen Dana Atchley und Daniel Meadows. Atchley performte in den USA mit einer eigenen Theatershow, in der er unter dem Titel „Next Exit“ Lagerfeuergeschichten erzählte – in digitalisierter Form allerdings. Meadows war begeistert von Atchleys Ansatz, und das sogar so sehr, dass er die Idee kurzerhand
in sein Heimatland Großbritannien importierte. Unter der Ägide von Meadows wurde aus der bis dahin eher formlosen Kunst des digitalen Geschichtenerzählens ein fest umrissenes Regelwerk, eine Methode. Am Ende dieser Bemühungen stand u. a. „Capture Wales“, ein Pionierprojekt der BBC zum Thema „Digital Storytelling“. Dieses Erbe verwaltet auch Steve Bellis in seiner Arbeit am Yale College und neuerdings in seiner eigenen Firma „StoryPoint“.

SteveDa Praxis mitunter die bessere Theorie ist, unterlegt Bellis seine Ausführungen mit einer Vielzahl von digitalen Geschichten, die vor allem eines verdeutlichten: Je persönlicher, desto besser.
Persönliche Anteilnahme, das zeigt sich in den zahlreichen Beispielen, ist der Schlüssel zu einer guten (digitalen)
Geschichte. Dies setzt jedoch nicht zwangsläufig hochemotionale oder -intime Erzählungen voraus, viel mehr geht es um eine persönliche Perspektive auf das Erzählte, eine wie auch immer geartete Verbindung zur eigenen Person, die Bellis mit dem Begriff „authentic media“ umschreibt.

Für eine solche Perspektive bieten sich bestimmte Motive besonders an, wie Bellis im Folgenden zeigt: Entscheidende Momente im eigenen Leben, Wendepunkte, die Geschichte einer Veränderung (die schon geschehen ist oder erst noch geschehen soll), persönliche Leidenschaften oder Entwicklungswege, Widmungen an geliebte Personen oder Dinge oder Geschichten darüber, wie man wurde, wer man ist. Es geht also um Authentizität, Ehrlichkeit, Engagement, Partizipation und um die Individualität einer jeden Erzählerfigur.

Besonders in der Nachhaltigkeitskommunikation eröffnen sich neue Wege, wenn man die oben genannten Werte an die Stelle der ewig gleichen, oft blutleeren Appelle, Verbote oder pädagogischen Belehrungen setzt. Was dann entstehen kann, zeigt das Beispiel von Heather, einer britischen Farmerin, die sich für „Project Aspects” ganz eigene Gedanken zum Thema Umwelt macht (Link).

Nach der Mittagspause geht es dann direkt in den „Story Circle”, durch den die Teilnehmer/-innen lernen sollen, sowohl einander als auch ihrem eigenen Erzähltalent zu vertrauen. Die Nähe dieses Erzählkreises zu gewissen therapeutischen oder didaktischen Methoden ist unübersehbar, geht es doch auch hier ums Ent- und Aufdecken von Dingen, von denen man mitunter selbst nicht wusste, dass sie da sind.

JassonZu diesem Zweck arbeitet Bellis mit unterschiedlichen Spielen, die Kreativität und Selbstvertrauen fördern sollen. Diese reichen vom „Nonsense Word Game“ über ein Spiel mit dem Titel „Make Up Your Mind“ bis hin zum „Match Game“, das allseits für Erheiterung sorgt: Bei diesem Spiel müssen die Teilnehmer/-innen eine Geschichte erzählen, die die Brenndauer eines – zugegebenermaßen großen – Streichholzes nicht überschreiten darf. Im Zentrum des „Story Circles“ steht jedoch eine andere Übung: Im Vorfeld des Workshops wurden alle  Teilnehmer/-innen darum gebeten, einen persönlichen Gegenstand mitzubringen, dessen Geschichte es nun zu erzählen gilt. Nach und nachfüllen sich die mitgebrachten Bilder und Gegenstände mit Leben, sodass die Grundannahmen des „Digital Storytelling” sich auch in dieser Runde bestätigen: Jede/-r Teilnehmer/-in hat mindestens (!) eine wirklich gute Geschichte zu erzählen, die umso besser ist, je persönlicher sie vorgetragen wird.

Dennoch tun sich einige Teilnehmer gerade an diesem Punkt schwer, insbesondere, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Denn schließlich handelt es sich um (ge-)wichtige und ernste Themen, bei denen so etwas wie persönliche Betroffenheit doch eigentlich völlig fehl am Platze ist. Vielleicht ist aber auch gerade das die zündende Idee, statt der üblichen Daten, Zahlen und Fakten die persönliche Ansprache zu nutzen, um (neue) Zielgruppen zu erreichen und zu aktivieren. In eben dieser Spannung liegt denn auch das Faszinationspotential der nächsten Tage, die sich im Kern um eine ziemlich alte Frage drehen: Wie ist es möglich, Teil und Ganzes, Besonderes und Allgemeines, Individuelles und Universelles zu verbinden?

Runde Eins – Samstag
WS_ArbeitsphaseDer Samstag setzt dort an, wo der Freitag endete: In einem Brainstorming wurden bereits am Freitag Nachmittag die Grundfesten der zukünftigen Geschichten ausgehoben, und obwohl alle Teilnehmer/-innen also schon ein tragfähiges erzählerisches Grundgerüst vorzuweisen haben, stehen dennoch eine ganze Reihen von Entscheidungen an: Wo liegt das Herz meiner Geschichte? Wie viel möchte ich von mir preisgeben? Mit welchen Medien möchte ich arbeiten? All diese Fragen gilt es am heutigen Morgen zu bearbeiten und zu klären, der dem Schreiben der Geschichten gewidmet ist. Die Stimmung ist dabei eine völlig andere als am Vortag – das muntere Geschichtenerzählen und Gelächter ist einer angestrengten, konzentrierten Stille gewichen. Während einige schon nach kurzer Zeit die 250 Worte gefunden haben, die ihre Geschichte ausmachen, feilen andere bis in die frühen Nachmittagsstunden an ihren Entwürfen. Im Einzelgespräch mit Steve Bellis werden die Geschichten auf ihr Potential geprüft, darauf, ob sie ein Herz haben – im doppelten Sinne: Denn zum einen bedarf eine gute Geschichte eines Kerns, einer zentralen Botschaft, zum anderen muss sie eine persönliche Note transportieren. Der Schreibprozess dient dazu, dieses Herz ausfindig zu machen, das im Blick behalten werden muss, wenn man in nur 250 Worten etwas Wichtiges sagen will.

Steve_SandraNachdem also am frühen Nachmittag alle Teilnehmer/-innen eine Geschichte vorweisen können, geht es an die Audio-Aufnahmen des Geschriebenen. Diese finden in einer ungewöhnlichen Umgebung statt, denn die Trainer Guido Kowalski und Steve Bellis haben ihre Hotelzimmer kurzerhand zum Tonstudio umfunktioniert; Kissen und Decken sollen das Echo der Sprechenden dämpfen. Für die Tonaufnahmen ist das langsame und klare Sprechen zentral, nach
Möglichkeit halb so schnell wie die normale Sprechgeschwindigkeit.

Noch wichtiger allerdings ist der Spaß an der Sache und der Mut, Fehler zu machen und zu experimentieren. Für all jene, denen noch Material fehlt, bieten sich am Nachmittag außerdem letzte Gelegenheiten, um Fotos zu schießen und Videos zu drehen. Und so ziehen einige Teilnehmer/-innen aus, um in der näheren Umgebung Aufnahmen von Pflanzen, Essensresten, elektronischen Geräten oder sich selbst zu schießen – und das mitunter bis spät in die Nacht`

Runde Zwei – Sonntag
KopfhörerNachdem die Teilnehmer/- innen gestern schon viel geleistet haben, wird es heute noch einmal richtig anstrengend, denn es geht ans Schneiden der Ton- und Bildspuren und die Fertigstellung der Filme.
Damit all das möglichst problemlos abläuft, gibt es eine technische Einführung von Trainer Guido Kowalski, der das Video-Schnittprogramm Sony Vegas vorstellt. Manche Teilnehmer/-innen betreten mit diesem Programm völliges Neuland, andere kennen sich schon ein wenig besser aus. Früher oder später haben jedoch alle ihre Sprachspur zurechtgeschnitten und fangen an, Fotos, Videos und Musik darüber zu legen. Hierbei kommt das Story-Board ins Spiel, das die Abfolge von Text- und Bildmaterial regelt. Grundsätzlich ist auch bei digitalen Geschichten die Erzählerstimme das tragende Element, weshalb sie nicht durch Bild-, Video- oder Sound-Material überstimmt und untergraben werden sollte. Als groben Richtwert gibt Bellis deshalb ein Verhältnis von einem Bild pro Satz aus.
Kurz vorm Ende des heutigen Arbeitstages sind die ersten Teilnehmer/-innen weit genug, um eine zweite (oder dritte oder vierte) Meinung einzuholen und sich über ihre vorläufigen Ergebnisse auszutauschen. Mindestens genauso viele Mitglieder der Gruppe jedoch sitzen bis weit nach Workshop-Ende an ihrem Arbeiten, denn die Leidenschaft
am digitalen Geschichtenerzählen hat inzwischen ausnahmslos alle gepackt.

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – des erstaunliches Eifers, den viele Teilnehmer/-innen an den Tag legen, drängt sich langsam die Frage auf, ob morgen tatsächlich alle mit einem fertigen Film werden nach Hause gehen können`

Finale
SitzreihenGanz ohne ein erholsames Wochenende geht es am Montagmorgen sofort in den Endspurt: Während rund die Hälfte der Teilnehmer/-innen fertig ist und sich entspannen kann, gibt es auch noch einige, die unter Hochdruck an der Fertigstellung ihrer Geschichten arbeiten. Dabei wird es für alle Beteiligten – und insbesondere für das Betreuungsteam vor Ort – noch einmal richtig spannend, denn selbst in den letzten 15 Minuten vor dem großen Screening sind manche noch eifrig am Basteln` Um kurz vor halb zwölf ist es dann jedoch so weit: Der Konferenzraum wird eilends zum Kinosaal umfunktioniert, in dem nun die neun Filme unserer Teilnehmer/-innen gezeigt werden. Der kleine Kreis der letzten Tage hat sich etwas erweitert, denn auch Frauke Jacobsen von der Staatskanzlei NRW und Katrin Heeren von der Deutschen UNESCO-Kommission sind angereist, um die Ergebnisse des Workshops zu begutachten.

Und diese können sich wirklich sehen lassen, wie die nächste halbe Stunde zeigt. Denn tatsächlich haben alle  Teilnehmer/-innen binnen kürzester Zeit das zu Anfang anscheinend Unmögliche vollbracht: Sie alle haben  großartige Geschichten zum Thema Nachhaltigkeit produziert, die so unterschiedliche Themen wie  Nahrungsmittelverschwendung, Elektroschrott, Heimweh, Benzinraub oder eine Begegnung mit der Heilsarmee abdecken, und am besten für sich selbst sprechen: Ein Teil der Workshop-Videos kann in Blog von NRW denkt nach(haltig) eingesehen werden.

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