Nachhaltigkeit – eine Typfrage?
Klimaerwärmung, Ressourcenverknappung und Fukushima haben die Debatte um Nachhaltigkeitsfragen angefacht. Gleichzeitig erreichte der Energieverbrauch im vergangenen Jahr Rekordniveau, während immer größere Mengen Lebensmittel weggeworfen werden und der Flugverkehr seit Jahren zunimmt. Ist die Debatte in der Bevölkerung noch nicht angekommen?
Thomas Hoch schreibt dazu in der Financial Times Deutschland (vom 22.08.2011): „Eine Studie von TNS Infratest in sechs europäischen Ländern zum Thema Nachhaltigkeit vom Mai 2011 zeigt, wie Nachhaltigkeit und grünes Denken in Europa wahrgenommen wird. Danach landet der Begriff ‚Nachhaltigkeit‘ in der wahrgenommenen Wichtigkeit von 15 Themen auf Platz 11, weit hinter Themen wie Gesundheitsvorsorge, Arbeitsplatz und Bildung. Dennoch halten insgesamt 52 Prozent der Deutschen dieses Thema für wichtig, davon können aber nur 39 Prozent mit dem Begriff wirklich etwas anfangen. Immerhin 46 Prozent geben an, wenigstens ein bisschen darüber Bescheid zu wissen“.
Paradox? Gleichzeitig bemerken deutsche Unternehmen ein steigendes Interesse bei Verbraucherinnen und Verbrauchern, Beschäftigten und Investoren an nachhaltigem Wirtschaften, so aktuelle Studienergebnisse des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Unternehmensinitiative „Future – verantwortung unternehmen“.
Definitionen
Was hat es nochmal mit der Nachhaltigkeit auf sich? Der Begriff der Nachhaltigkeit wurde ursprünglich in der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts geprägt und forderte dazu auf, nicht mehr Holz zu fällen, als nachwachsen könne. Seit mehr als zwanzig Jahren aber gilt Nachhaltigkeit vor allem als Leitbild für eine zukunftsfähige Entwicklung der Menschheit.
„Nachhaltigkeit“ knüpfen manche an die Lebensqualität gegenwärtiger und zukünftiger Generationen: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Lebensqualität der gegenwärtigen Generation sichert und gleichzeitig zukünftigen Generationen die Wahlmöglichkeit zur Gestaltung ihres Lebens erhält“ (Bericht der Brundtland-Kommission, 1987). Hier geht es um ein Gebot der Fairness.
Das „Dreieck der Nachhaltigkeit“ versteht sie als eine Art Interessenausgleich; eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn soziale, ökologische und ökonomische Ziele gleichzeitig und gleichberechtigt umgesetzt werden. In diese Richtung geht auch die Definition der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum „Schutz des Menschen und der Umwelt“ : „Nachhaltigkeit ist die Konzeption einer dauerhaft zukunftsfähigen Entwicklung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimension menschlicher Existenz. Diese drei Säulen der Nachhaltigkeit stehen miteinander in Wechselwirkung und bedürfen langfristig einer ausgewogenen Koordination.“
An definitorischen Ansätzen mangelt es also nicht – stellt sich die Frage, was davon im Alltag ankommt. Gefragt nach dem Verständnis des Begriffs „Nachhaltigkeit“, ergibt sich bei den Deutschen folgendes Bild, schreibt Thomas Hoch in der Financial Times Deutschland (vom 22.08.2011):
- „Bewahren der Menge und Qualität der natürlichen Ressourcen“ (35 Prozent)
- „Bewahren der Zukunft“ ( 17 Prozent)
- „Förderung von umweltfreundlicher Produktion und Verbrauch“ ( 12 Prozent)
- „Ökologie und Umweltschutz“ ( 11 Prozent )
Und das sind die nur die Begriffsverständnisse, auf die sich größere Anteile der Befragten einigen konnten. 33 Prozent konnten mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ gar nichts anfangen. Zwischenfazit: An definitorischen Ansätzen mangelt es also nicht, an einem einheitlichen Begriffsverständnis schon.
Typen
Jeder(r) versteht also etwas anderes unter „Nachhaltigkeit“. Welche Konsequnzen hat das für eine umweltbewusste Lebensführung? Wie wird Nachhaltigkeit gelebt? Auch darüber gibt die Studie von TNS Infratest Auskunft. Thomas Hoch beschreibt in der Financial Times Deutschland (vom 22.08.2011) sechs unterschiedliche Typen, die auch Konsumtypen sind, leider ohne eine anteilsmäßige Verteilung:
„1. Die Aktiven: ‚Die Zeit ist jetzt!‘
Hier geht es um selbstbewusste Individualisten, die jetzt sofort etwas verändern möchten. Generell treibt sie ein Gefühl der Dringlichkeit. Aus ihrer Sicht liegen die Lösungen klar auf der Hand man muss sie nur endlich umsetzen. Die drängenden Probleme, etwa Klimaerwärmung oder Atomkraft, müssen vor allem schnell gelöst werden, bevor die Folgen unumkehrbar sind. Gerade dieser Typ sympathisiert häufig mit Organisationen wie Greenpeace, Robin Wood oder ‚attac‘. Wichtig sind vor allem unübersehbare Aktionen, die eine Vielzahl von Menschen erreichen, z.B. Demonstrationen und Sitzblockaden. Als Vorreiter muss für sie das eigene Verhalten demonstrativ sichtbar sein: z.B. umweltfreundliche Marken werden demonstrativ unterstützt, Umweltverschmutzer lautstark boykottiert.
2. Die Anwälte: ‚Think about the big picture‘
Sie haben das ‚große Ganze‘ im Blick, sind skeptisch und glauben nicht leicht an Untergangsprophezeiungen. Umweltschutz bedeutet zuallererst eigene Verantwortlichkeit. Die Natur ist schonend zu behandeln, denn sie soll den nächsten Generationen noch als Ressource zur Verfügung stehen. Umweltschutz bedeutet für die Anwälte zuerst die Hysterie zu durchschauen und dann nach pragmatischen Alternativen zu suchen, die unseren Lebensstil möglichst wenig beeinträchtigen: z.B. Keine Elektroautos zu kaufen solange nicht klar ist, woher der Strom dafür herkommen soll. Kein E10 Bio Sprit zu tanken, wenn gleichzeitig für die Erzeugung des Ethanols Wälder gerodet werden und bei Erzeugung und Transport fossile Brennstoffe eingesetzt werden müssen.
3. Die Theoretiker: ‚Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie‘
Die Theoretiker wollen genau verstehen wie Dinge zusammenhängen. Die Natur ist für sie ein ausbalanciertes Kunstwerk, dessen empfindliches Gleichgewicht nicht gestört werden darf. Aktuell bestehende Probleme sind vor allem ein Indiz dafür, dass wir das komplexe Ökosystem nicht wirklich verstehen. Umweltschutz ist mehr über die Umwelt zu lernen. Theoretiker appellieren an die Einsicht der Menschen und glauben eher an schrittweise Veränderungen als an Revolutionen. Vor allem technologische Lösungen werden bevorzugt. Wenn man die Technik die vorhanden ist konsequent nutzt, muss sich gar nicht so viel ändern. Das beginnt bei der konsequenten Beachtung der Energieeffizienz, des ökologischen Fußabdruck bis hin zur konsequenten Durchplanung des eigenen Heims als Niedrigenergiehaus.
4. Die Fürsorger: ‚Der unberührte Garten Eden‘
Den Fürsorgern geht es um einen konkreten Bezug zur Natur, sie arbeiten z.B. im Garten, bauen Gemüse an oder Wandern. Am liebsten würden sie alle Schäden ungeschehen machen und den natürlichen Urzustand wieder herstellen. Die zunehmende Umweltverschmutzung, fortschreitender Landverbrauch und ungebremstes Artensterben sind spürbare Auswirkungen eines aus dem Ruder laufenden Systems. Das kann ein Einzelner nicht aufhalten. Es geht ihnen also darum im Kleinen zu retten was zu retten ist. Der Fürsorger wird Nachhaltigkeit eher als Chance der Natur zur Erholung und nicht als nachwachsende Vorratskammer verstehen. Neben dem Pflegen von Hinterhofbiotopen geht es um radikales Sparen: Wasserspartoiletten, Wasser ausschalten beim Zähneputzen, weniger Heizen, seltener Autofahren, gehören zu den von ihnen bevorzugten Maßnahmen.
5. Die Gesellschafter: ‚Zurückgeben was wir genommen haben‘
Die Gesellschafter wollen, dass es allen gut geht. Das Wohl der Allgemeinheit geht vor.Neben Verzicht setzen sie auf eine Neubewertung des ’normalen‘ Lebensstandards, den sie übertrieben finden. Ein gerechter Lebensstandard und vor allem eine ausgewogene, faire Nutzung der Natur sind das Ziel. Dabei bleibt man pragmatisch. Es geht nicht um Revolution sondern langsamen, stetigen Wertewandel. Die Gesellschafter sind die wahren Nachhaltigkeitsbefürworter. Umverteilung schafft gleiche Bedingungen für alle und eine gerechtere Verteilung senkt die allgemeine Belastung der Natur.
6. Die Enthusiasten ‚Jeder Tag ist ein neuer Anfang!‘
Den Enthusiasten geht die Umweltdebatte auf die Nerven. Nur weil die Lage ernst ist, muss das noch lange nicht heißen dass sie Spaß haben können. Umweltschutz muss sich zwanglos in den Alltag integrieren. Wenn der Enthusiast sich einer Sache anschließt, dann mit Leidenschaft und Spaß. Wichtig ist für ihn das Organisieren von Projekten, die einen direkten positiven Effekt haben, z.B. Aktion ‚Autofreie Innenstadt‘, Fahrradwegentwicklung etc. Nachhaltigkeit ist dem Enthusiasten zuallererst lästig, weil das Thema eher schwer verständlich ist.“
Fazit
Und was für ein Typ bin ich? Jede Strategie hat etwas für sich. Die gute Nachricht dabei: Fragen der Nachhaltigkeit sind in der Wirtschaft angekommen. Die schlechte Nachricht: Es mangelt nicht nur an einem einheitlichen Begriffsverständnis. Je nach Typ – will jede(r) auch noch anders angesprochen werden. Das ist nicht nur für die Wirtschaft ein Problem. Aloha LOHA!