Zukunftswerkstatt – Zu Besuch an der ecosign-Akademie in Köln

Ganzheitlich nachhaltig

Im Kölner Szenebezirk Ehrenfeld liegt die ecosign/Akademie für Gestaltung, an der ich mich an diesem Tag eingefunden habe, um gemeinsam mit einigen Studierenden die Ausstellung „design zeitgemäß“ zu erkunden.
Seit nunmehr 18 Jahren versucht die ecosign, Design und Nachhaltig zusammenzubringen, indem sowohl die praktischen Fähigkeiten als auch das Bewusstsein der StudentInnen im Sinne der Nachhaltigkeit geschult werden. Deshalb gehören neben Kursen in Fotografie, Zeichnen, Modellbau oder Buchbinden auch Ökologie, Ethik, Philosophie oder Psychologie zum Lehrplan. Am Ende dieser in Deutschland einzigartigen Ausbildung stehen dann idealerweise „ecosigner“  –  DesignerInnen also, die nicht nur ein Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme mitbringen, sondern auch Ideen für deren Lösung.
Finanziert wird all dies über Studienbeiträge und Spenden, denn bei der ecosign handelt es sich um eine nicht-staatliche Designschule. Dieser Status birgt neben einigen Probleme und Freiheiten, wie z.B. eine größere Flexibilität im Lehrplan, der an die Interessen der Studierenden angepasst werden kann.
Dass Nachhaltigkeit an der Akademie als ganzheitliches Konzept verstanden und gelebt wird, zeigt auch die Führung mit Daniela Schmidt, die am Anfang meines Besuchs steht: Nicht nur der Lehrplan, auch die Lehrräume folgen den Prinzipien der Nachhaltigkeit – von der Wandfarbe über den Strom bis hin zum Bodenbelag ist hier alles öko. Über Präsenzmelder und ein spezielles Heizungssystem werden außerdem tagtäglich Ressourcen geschont, während das sogenannte „Granderwasser“ die StudentInnen motivieren soll, von Flaschen- auf Leitungswasser umzusteigen.
Im alltäglichen Miteinander und im Unterricht setzt die ecosign zudem auf Werte wie Kooperation, Selbstfindung und Dialog, was zur familiären Atmosphäre an der Akademie beiträgt – die meisten der 240 StudentInnen kennen sich persönlich und begleiten einander während er Arbeits- und Entwicklungsprozesse. Damit diese möglichst reibungslos ablaufen, ist die Schule überdies nach Feng Shui-Prinzipien eingerichtet, die Kreativität und Lebendigkeit fördern sollen.
Diese Rechnung scheint aufzugehen, wie die Ausstellung „design zeitgemäß“ verdeutlicht, in der praktische Arbeiten einiger StudentInnen zu bewundern sind. Ich habe an diesem Tag das große Glück, einige der ecosigner persönlich kennenzulernen, um mit ihnen über ihre Werke zu sprechen:

Die Atomexpertin – Anna Maria Süß

Den Anfang macht Anna-Maria Süß mit ihrer Abschlussarbeit „Das Kernkraftwerk“. Anlass für ihr Buch war die Verunsicherung nach dem Reaktorunfall in Fukushima und die Erkenntnis, dass der Informationsstand zum Thema Atomkraft in den meisten Fällen über Halbwissen und diffuse Ängste wenig hinaus geht. Gleichzeitig gibt es aber kaum Möglichkeiten, sich neutral zum Thema zu informieren, weshalb Süß kurzerhand ein Buch für Laien recherchierte, konzipierte, schrieb und illustrierte, das LeserInnen ausdrücklich „nicht von einer bestimmten Haltung überzeugen, sondern viel mehr über die einzelnen Prozesse aufklären will.“ Süß liefert also die nötigen Informationen, eine Meinung allerdings muss man sich selbst bilden.
Zu diesem Zweck erläutert Süß umfassend die komplexe Kette, die von der Urangewinnung über den Aufbau eines Kraftwerks bis hin zur Endlagerung reicht. Um den LeserInnen diese Reise in  größtenteils unbekannte Gefilde zu erleichtern, ist den Kapiteln zur Verarbeitungskette ein nonverbaler, grafischer Teil vorgeschaltet, der „das Vielschichtige zunächst einmal auf wenige Symbole reduziert“. Neben handfesten physikalischen, technischen und wirtschaftlichen Fakten bietet das Buch auch einen Einblick in die Atomdebatte, deren Argumente auf pinkfarbenen Papierstreifen, den sogenannten „Störern“,  über das ganze Buch verteilt auftauchen. Ganz im Sinne des Neutralitätsprinzips ist jede(r) LeserIn dazu angehalten, die Pro- und Contra-Argumente eigenständig gegeneinander abzuwägen.
Für ihr ungemein innovatives und vielschichtiges Portrait zum Thema Kernkraft sucht Anna-Maria Süß nach wie vor einen Verleger!

Der Grenzgänger – Jakob Kaliszewski

Auf ein schwieriges Thema folgt sogleich das nächste: Der Fotograf Jakob Kaliszewski stellt mir im Anschluss an Süß seine Bilderserie „Zurück nach Hier“ vor, die aus der Begegnung mit  WachkomapatientInnen und ihren Angehörigen enstanden ist. Hinter dem kleinen Bildband steckt jede Menge Arbeit, wie ich im Gespräch mit Kaliszewski erfahre: Denn bevor er ans Fotografieren ging, hat Kaliszewski die PatientInnen und ihre Angehörigen zuerst über einen längeren Zeitraum regelmäßig besucht und viele Gespräche geführt. Denn nur so konnte er in jenes Kommunikationsverhältnis eintreten, das letzten Endes im Zentrum seiner Bilder steht. Diese intensive Vorarbeit erlaubte es ihm, eine ungemein schwierige Aufgabe zu meistern und eine Ästhetik zu finden, die den WachkomapatientInnen Präsenz verleiht und zeigt, dass unter der scheinbar so stillen Oberfläche stetig etwas passiert. Damit ermöglicht Kaliszewski Einblicke in eine Welt, die den meisten von uns verschlossen bleib und leistet zugleich – ganz im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit – einen wertvollen Beitrag, um „einen Teil dieser Menschen wieder mit in eine Welt zu nehmen, der sie leider nicht mehr folgen können.“
Für diese Bemühungen ist Kaliszewski mit dem ersten Platz bei einem Fotowettbewerb des „Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek)“ ausgezeichnet worden. Derzeit touren seine Bilder zudem in einer  Wanderausstellung des vdek durch ganz Deutschland.

Der Pfand-Aktivist – Paul Ketz

Mein nächster Gesprächspartner kann als kleine Berühmtheit gelten, denn bei Paul Ketz handelt es sich um den Erfinder des Pfandringes, der nicht nur in Nachhaltigkeitsblogs und -foren aller Art, sondern auch in den offiziellen Medien für Furore gesorgt hat.
Der orange Stahlring funktioniert als eine Art Manschette, die um öffentliche Mülleimer gespannt und als Pfandflaschenhalter genutzt werden kann. Damit wird nicht nur zahlreichen „Flaschensammlern“ der entwürdigende Griff in die Mülltonne erspart, der Ring verhindert auch, dass der wertvolle Rohstoff Glas in den Untiefen des Eimers landet und zusammen mit dem anderen Restmüll verbrannt wird. Nicht zuletzt lässt sich durch den Ring der Reinigungsaufwand einsparen, den zerbrochene Flaschen verursachen, wenn sie z.B. von den Mülleimern herunterfallen:

„Er [der Pfandring] vermeidet Reinigungs- und Entsorgungsaufwand durch zerbrochene oder in Restmüll gemischte Flaschen und bietet den Passanten die Möglichkeit anstatt unnötigen Müll zu produzieren Unterstützung für Flaschensammler zu leisten, die einfacher und unkomplizierter an das Pfand gelagen [sic] und gleichzeitig den Rohstoff wieder in den Kreislauf zurück führen können.“
Im Gespräch mit dem jungen Produktdesigner wird schnell deutlich, dass er den Erfolg seiner Erfindung selbst noch nicht so recht fassen kann, zumal die Idee anfangs von vielen Seiten belächelt wurde. Nicht nur das riesige Medienecho deutet jedoch darauf hin, dass Ketz einen Nerv getroffen hat, auch mehrere Städte haben mittlerweile Interesse an der Stahlkonstruktion angemeldet. Dabei ist Ketz jedoch bewusst, dass sein Ring letzten Endes nur die Symptome, nicht jedoch die Ursachen von Verarmung und Ressourcenverschwendung bekämpft – streng genommen wäre jene Gesellschaft die ideale, in der eine Erfindungen wie der Pfandring überflüssig ist. Solange diese jedoch noch auf sich warten lässt, handelt es sich bei dem Ring um eine ziemlich gute Idee.
Auf dem Weg in eine solche Gesellschaft ohne Pfandringe spielt der Bewusstseinswandel eine entscheidende Rolle, wie Ketz betont. Deshalb bedeutet Nachhaltigkeit für ihn vor allem, mit seinen Arbeiten ein Bewusstsein zu schaffen – für die Existenz sogenannter „Flaschensammler“ zum Beispiel –  und die Menschen zum Umdenken zu bewegen. Das funktioniert in seinen Augen aber nur, wenn man das, was man tut, auch gerne tut: „Spaß ist nachhaltig“, wie Ketz abschließend zusammenfasst.

Die Naturfreundinnen – Julia Torscher & Laura Quarz

Auch das nächste Exponat kommt aus dem Bereich des Produktdesigns: Julia Torscher stellt mir einen Lehmhocker vor, den sie gemeinsam mit Laura Quarz in einem interdisziplinären Projekt zwischen der ecosign und der FH Frankfurt designt und hergestellt hat. Entstanden ist der Hocker im Zuge eines Gedankenexperiments zur Welt  im Jahre 2050, die sich Torscher und Quarz als hochtechnisiert ausmalen. Dieser Zukunftsvision wollten sie mit ihrem Lehmhocker ein Möbelstück gegenüberstellen, dass in seiner Ursprünglichkeit und Naturbelassenheit einen Kontrast schafft zur zunehmenden Technisierung unserer Welt. Keineswegs ist ihr Entwurf jedoch im Sinne einer undifferenzierten Technikkritik zu verstehen; viel eher geht es darum, unterschiedliche Materialien nebeneinander zu stellen und in einen Dialog treten zu lassen.
Der Werkstoff  Lehm ist laut Torscher insofern besonders nachhaltig, als er  nach dem „cradle-to-cradle“-Prinzip aus der Natur kommt und in diese zurück geht. Gleichzeitig handelt es sich bei dem Lehmhocker um ein Möbelstück, das veränderlich ist und auf seine Umwelt reagiert, wie die  kleineren Verschleißspuren am Ausstellungsstück verdeutlichen: Die beiden Designerinnen haben ihren Hocker bewusst nicht allzu stark lackiert, damit die Offenheit für Umwelteinflüsse erhalten bleibt. Diese Veränderlichkeit bedingt auch den Modellcharakter des Hockers, der unter dem Motto „Lehm mit!“ mit unterschiedlicher Farb- und Formgebung nachgebaut werden kann und soll.

Die Sportsfreunde –  Jonatan Schäper & Simon Broich

Vom naturbelassenen Material geht es im nächsten Schritt an den Computer, wo mir die Studenten Jonatan Schäper und Simon Broich ihr Konzept „ciclo“ zur Förderung post-fossiler Mobilität vorstellen. Die meisten von uns wissen um die Umweltschädlichkeit des Autos, so Schäper und Broich, wollen jedoch aus Bequemlichkeit nicht umsatteln. Aus diesem Grund kommt man mit reiner Aufklärungsarbeit in den Augen der Studenten nicht weit, wenn es um nachhaltige Verhaltensänderungen geht, ebenso wenig wie mit Schreckensszenarien. Deshalb beschreiten die beiden mit ihrem Konzept einen „dritten Weg“, indem sie nachhaltige mobile Lösungen – wie z.B. das Fahrradfahren – über ein Belohnungssystem fördern wollen.
Im Zentrum dieser Bemühungen steht ein Tachometer, der die Vorteile des Radfahrens sichtbar machen soll: Das Gerät berechnet sowohl die CO2- als auch die Spritkostenersparnis und könnte außerdem noch gesundheitsrelevante Daten aufzeichnen. Damit auch genug Anreiz besteht, diese Daten kontinuierlich zu sammeln, soll das Gerät an eine Webplattform gekoppelt werden, die  persönliche Daten nicht nur protokolliert und auswertet, sondern durch Aktionen und Wettbewerbe in Vorteile für die Nutzer umwandelt – ein bisschen wie „nike +“ fürs Fahrrad also.
Jedoch bleiben Schäper und Broich an dieser Stelle nicht stehen: So schlagen sie z.B. vor, dass Krankenkassen und Unternehmen auf das „ciclo“-Konzept zurückgreifen könnten, um nicht nur die  Mobilität, sondern auch die Gesundheit ihrer Mitglieder zu fördern. Perspektivisch könnten sogar ganze Gemeinden und Städte eingebunden werden, die über Infrastrukturleistungen wie den Ausbau des Radnetzes, sichere Abstellplätze, Reparaturservice etc. die Anreize für das „ciclo“-System und damit die regelmäßige Radnutzung wesentlich steigern könnten.
Diese lobenswerte Ganzheitlichkeit des Konzepts macht es jedoch schwer in die Praxis übersetzbar, wie die beiden Studenten wissen, denn es müsste jede Menge Geld in die Herstellung des Tachos, den Aufbau der Webplattform und natürlich in die Infrastrukturleistungen fließen. Trotzdem sind die beiden auf einem guten Weg und gerade dabei, erste Gespräche mit Versicherungen zu planen.

Die Weltgestalterin – Natalie Muth

Zum Abschluss meiner Führung durch die Ausstellung „design zeitgemäß“ wartet noch einmal eine ganz besonders schöne Arbeit auf mich. Die Studentin Natalie Muth präsentiert mir ihren Beitrag zum „Weltgestalter“-Projekt, in dem Studentinnen der ecosign-Akademie mit geistig beeinträchtigten Menschen aus der Werkstatt „Allerhand“ zusammengearbeitet haben. Hintergrund war die Beobachtung, dass die Arbeit in vielen Behindertenwerkstätten häufig den Aspekt der aktiven und kreativen Gestaltung vermissen lässt, und die Arbeiten von geistig beeinträchtigen Menschen zudem meist eher aus Mitleid denn aus ästhetischem Interesse wahrgenommen werden. Das wollte das „Weltgestalter“-Projekt ändern, indem es explizit gleichberechtigte künstlerische Partnerschaften zwischen zwei – oder wie im Falle Muths drei – Gestaltern mit und ohne Behinderung förderte. Beide Künstler brachten ihre jeweiligen Interessen und Fähigkeiten mit, die es im gemeinsamen Arbeits- und Schöpfungsprozess aufeinander abzustimmen galt. Für Muth und viele andere StudentInnen stellte dies eine Herausforderung dar, da nur die wenigsten von ihnen schon einmal mit geistig beeinträchtigen Menschen zu tun gehabt hatten.
Am Anfang und Ende ihres Lernprozesses standen für Muth und ihren ecosign-Kollegen Jan Göller  jene „Becher und Becherchen“, denen sich Daniel Scislowski in den Werkstätten von „Allerhand“ schön längere Zeit gewidmet hatte. Statt die Becher jedoch nur zu gießen, kamen die drei auf die Idee, sie auch zu quetschen und von innen zu bemalen, wodurch aus jedem Becher ein einzigartiges Kunstwerk wurde, das in einem sehr handfesten Sinne die persönliche Handschrift des jeweiligen Künstlers transportiert. Neben den „Bechern und Becherchen“ wurden in den Künstlerteams u.a. ein Memospiel zum 1. FC Köln, ein Kochset oder ein gemeinsam illustrierter Comic gestaltet.
Für diesen außerordentlich kreativen und nachhaltigen Beitrag zum Thema Inklusion und Partizipation wurde das „Weltgestalter“-Projekt erst kürzlich als offizielles Projekt der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichnet.

In der anschließenden Informationsveranstaltung für Studieninteressierte wird im Gespräch mit der Akademie-Gründerin Karin-Simone Fuhs und den Studenten noch einmal deutlich, was einen guten ecosigner ausmacht: Selbstbewusstsein, Kreativität, Engagement, Sensibilität für gesellschaftliche Problemlagen und die Fähigkeit, außerhalb vorgegebener Muster zu denken. Dass dieses Konzept nicht nur in künstlerischer, sondern auch in gesellschaftlich-sozialer Hinsicht aufgeht, zeigt niemand besser als die StudentInnen, die ich an diesem Tag kennen lernen durfte.

Vielen Dank an Simon Broich, Jakob Kaliszewski, Paul Ketz, Natalie Muth, Jonatan Schäper, Daniela Schmidt, Anna-Maria Süß und Julia Torscher!

 

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