„Wir müssen von der reflexhaften zur reflektierten Mediennutzung kommen.“ Sabria David, Mitbegründerin des Slow Media Instituts, im Gespräch mit NRW denkt nach(haltig) zum Thema „Nachhaltigkeit im digitalen Arbeitsalltag“
Sabria David ist Mitglied im Präsidium der Wikimedia Deutschland und Mitbegründerin des Slow Media Instituts in Bonn. Das Slow Media Institut forscht und berät zu den Auswirkungen und Potenzialen des digitalen Wandels. Ein Schwerpunkt des Instituts ist das Thema „Digitaler Arbeitsschutz“. Sabria David hat das Interaktionsmodell Digitaler Arbeitsschutz (IDA) entwickelt. Es bietet in seiner Umsetzung Unternehmen klare Orientierungsmarken und Rahmenbedingungen, sowie Unterstützung im konstruktiven Umgang mit der digitalen Arbeitswelt. Dieser Standard ist nun ein Modul des Siegels „Ausgezeichneter Arbeitgeber“, das vom TÜV Rheinland vergeben wird. Im Gespräch mit NRW denkt nach(haltig) erklärt sie, welche Bedingungen für eine nachhaltige Mediennutzung im Arbeitsalltag geschaffen werden müssen und welchen Herausforderungen sich Unternehmen und Beschäftigte heute und in Zukunft zu stellen haben.
Um Arbeits- und Privatleben wieder besser zu trennen, begrenzen einige Unternehmen mittlerweile den E-Mail-Zugang nach Feierabend. Halten Sie das für einen guten Anfang und wie muss es weiter gehen?
Man sieht an diesen Entscheidungen, dass es für die Unternehmen ein aktuelles Problem und Thema ist, das mit einer ziemlichen Dringlichkeit verbunden ist. Es kann je nach Unternehmenssituation ein guter Start sein, auf Mails nach Feierabend zu verzichten. Das Wichtige ist aber, wie das in der gelebten Praxis aussieht. Theorie und Praxis können da sehr weit auseinander klaffen. Es gibt zwar Unternehmen, die die Policy haben, dass ihre Mitarbeiter, zu Hause keine Mails lesen müssen. Wenn man dann aber die Mitarbeiter fragt, hört man oft das komplette Gegenteil.
Unser Ansatz ist daher zu fragen, welche Rahmenbedingungen müssen bestehen, damit eine solche Vereinbarung gelebt werden kann? Es gilt also nicht nur zu fragen: Was nehmen wir uns theoretisch alles vor? Sondern die Frage ist: Wie können wir das in die Praxis umsetzen? Wichtig ist, digitalen Arbeitsschutz als fortlaufenden und nachhaltigen Prozess zu verstehen. Vereinbarungen müssen explizit getroffen werden, aber man muss auch kontinuierlich danach schauen, ob und wie das praktikabel und realisierbar ist.
Vorgaben für Arbeitgeber sind die eine Seite. Auf der anderen stehen die Beschäftigten, die sich selbst Druck machen und über Urlaub und Feiertage erreichbar bleiben, auch wenn es keiner von ihnen verlangt. Woher kommt das? Und wie kann man dem entgegen wirken?
Der Druck hat verschiedene Ursachen. Erwartungen werden oft nicht explizit formuliert. Ich habe das zum Beispiel einmal in einem Workshop erlebt. Die Geschäftsführerin eines Unternehmens sagt, sie gehe auch am Wochenende ans Telefon, um ihren Mitarbeitern den Rücken frei zu halten, damit die sich erholen können. Aber auf meine Nachfrage: „Wissen ihre Mitarbeiter das auch?“ sagt sie: „Das ist doch selbstverständlich, die müssen doch am Wochenende nicht arbeiten.“ Da ist es eben wichtig, implizite Erwartungen und „Nichterwartungen“ klar zu formulieren, damit beide Seiten wissen, was gefordert ist. Gleichzeitig muss es aber auch realisierbar sein. Wenn Sie ihren Mitarbeitern sagen, sie müssen im Urlaub die Mails nicht lesen, dann müssen auch Rahmenbedingungen dafür bestehen, wie zum Beispiel eine Vertretungsregelung. Wenn jemand im Urlaub befürchten muss, dass sein Projekt gegen die Wand fährt, dann wird es schwer für ihn, sich in Abwesenheit nicht verantwortlich zu fühlen.
Unser Interaktionsmodell geht genau auf diese Wechselwirkungen ein. Es definiert, welchen Einfluss der Einzelne, die Teams und die Führungsebene haben. Diese drei Gruppen spielen zusammen und bestimmen zusammen das mediale Klima. Wir verfolgen deswegen einen systemischen Ansatz, der diese Faktoren mitberücksichtigt. Man kann nicht nur an einer Ebene ansetzen. Man kann vom Einzelnen nichts erwarten, was nicht auch durch die Rahmenbedingungen getragen wird.
Von der Theorie zur Praxis: Was lässt sich aus Ihrer Erfahrung in Sachen digitaler Arbeitsschutz leicht umsetzen und wo fällt das Umdenken schwer?
Es hilft schon sehr viel seine Mediennutzerrolle aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Wenn man sieht, was die eigene Rolle im medialen Klima des Unternehmens ist, dann weiß man, wie weit der eigene Handlungsspielraum reicht. Man weiß dann, in welchen Fällen dann man einfach mit den Kollegen Absprachen treffen muss und wann ein Problem auf Unternehmensebene zu lösen ist. Das öffnet Augen und damit Handlungsspielräume.
Schwer wird es, wenn man versucht digitalen Arbeitsschutz nur auf Ebene von Unternehmens-Policys abzuhandeln und das Ganze nicht als Zusammenspiel von Faktoren betrachtet. Im ersten Moment wirkt dann eine Entscheidung als leichte Lösung, aber es ist schwer eine wirkliche Verbesserung der Produktivität zu erreichen.
Wie ist Ihre persönliche Einstellung zum „Home Office“? Halten Sie es für eine begrüßenswerte Entwicklung, dass der klassische Bürojob sich immer leichter durch ein medial verbundenes Zusammenarbeiten von zu Hause aus ersetzen lässt?
Die Erreichbarkeit, Verfügbarkeit und Flexibilisierung bietet große Chancen. Das verlangt aber auch eine hohe Souveränität und Nutzerkompetenz. Man muss in der Lage sein, sich auch entziehen zu können, obwohl Sie das Büro direkt griffbereit haben. Medial verantwortliches Handeln braucht man im digitalen Arbeitsalltag sowieso und im Home Office sind die Anforderungen an Medien- und Handlungskompetenz der Menschen noch einmal höher. Wir sagen: Wir müssen von der reflexhaften zur reflektierten Mediennutzung kommen. Das heißt z.B.: „Erst denken dann senden.“ Das bedeutet, wenn man eine E-Mail an Kollegen schreibt, überlegt man sich vorher ob man respektvoll und nachhaltig mit den Ressourcen der Kollegen umgeht. Man fragt sich dann zum Beispiel: Ist das wirklich jetzt wichtig und ist es für jeden wichtig den ich in CC gesetzt habe.
E-Mail und Smartphone im Job sind heute für fast jeden Alltag. In welchen Technologien und Kommunikationsweisen sehen Sie die zukünftigen Herausforderungen für den digitalen Arbeitsschutz?
Ich glaube die große Herausforderung der Zukunft ist nicht die Technik sondern der Mensch. Technologisch wird immer mehr möglich und der Mensch muss sich seine Hoheit gegenüber der Technik zurückerobern. Es geht um eine Rückverlagerung von der Technik auf den Menschen, was auch mit einer Rückverlagerung von der Verantwortung einhergeht. Früher konnte man leichter ohne Verantwortung durch seinen Arbeitsalltag segeln, heute wird vom Menschen mehr gefordert. Die Technik wird sich immer weiter entwickeln, aber die Herausforderung ist, auch die damit einhergehende Kulturtechnik weiterzuentwickeln.