Digital Storytelling-Workshop – GMF 2014

IMG_3333Im Juni 2014 war es wieder soweit: Ein weiteres Mal konnten wir im Vorfeld des alljährlichen Global Media Forums einen Workshop zum Thema „Digital Storytelling“ (DS) anbieten. Teilnehmer waren acht Stipendiaten des GMF, die von unserem Kooperationspartner, den Deutsche Welle Media Services, ausgewählt wurden. Sie kamen aus der Türkei und der Ukraine, aus Ägypten, dem Libanon, Myanmar, Indonesien, Vietnam und Kenia. Unter ihnen waren Mitarbeiter(innen) von NGOs, Blogger, Journalisten und andere Medienschaffende.

Der Workshop fing am Donnerstag (26. Juni) mit einer Einführung unseres Trainers Guido Kowalski an. Mit verschiedenen Filmen, etwa von Dana Atchley, Daniel Meadows und Ken Burns – den „Pionieren“ -, illustrierte er die Entstehung und (Weiter-)Entwicklung des Digital Storytelling. Guido erzählte, wie er selbst diese Methode über das EU-Projekt DeTales kennenlernte: In diesem Projekt ging es um das – zugegebenerweise ein wenig sperrige – Thema der EU-Osterweiterung. Aufgabe der beteiligten Partner war unter anderem, Ansätze zu entwickeln, mit denen Nicht-Experten (älteren Arbeitnehmern, Langzeitarbeitslosen oder förderbedürftigen Jugendlichen) die Vorteile dieser europäischen Entwicklung vermittelt werden sollten. Am Beispiel des allerersten Films unserer zweiten Trainerin, Sarolta Berke aus Ungarn, der auf einem „Train the Trainer“-Workshop des Projekt DeTales entstanden ist, konnte Guido veranschaulichen, dass es nicht nötig ist, tendenziell „trockene“ Themen auch trocken zu verkaufen: „My First Taste of a Foreign Country„.

Damit ist auch schon das Grundprinzip des klassischen Digital Storytelling vorgestellt: Themen, Anliegen und Berichte, auch solche, die komplex und kompliziert erscheinen, herunterzubrechen auf kurze authentische Geschichten – „told from the heart“.

Neben solchen Themen, also frei auszuwählenden Inhalten, die entweder persönlicher Natur oder im weitesten Sinne gesellschaftliche Fragen sind, wird Digital Storytelling (oder DS, um sich ab jetzt Buchstaben zu sparen…) zunehmend auch als begleitendes therapeutisches Mittel, im künstlerischen und im interkulturellen Bereich, in der Schule oder anderen Bildungseinrichtungen oder eben auch als ein (zusätzliches) Instrument für den professionellen Journalismus eingesetzt.

Gerade in der journalistischen Arbeit bietet sich DS an: für die steigende Zahl der „Citizen Journalists“ einerseits, der Bürgerjournalisten, die als (Video-)Blogger oder Social Media-Aktivisten über die Welt berichten, in der sie und wir leben. Andererseits aber auch für Medienprofis, die ihr Portfolio um Instrumente erweitern wollen, die ganz bewusst den persönlichen Blickwinkel nutzen, etwa für Reportagen. Darüber hinaus kann die Methode an Orten und in Situationen genutzt werden, an / in denen keine stabile Infrastruktur vorhanden ist. Wenn man nicht auf einen großen Fernsehsender oder Ähnliches zurückgreifen kann, dann ist eine auf dem Tablet oder Smartphone produzierte Geschichte womöglich die Lösung für schnelle, (von technischen Faktoren) unabhängige Berichterstattung.

IMG_3523Eine andere neue Entwicklung ist die sogenannte Digital Curricular Story. Die Idee entstand in einem weiteren EU-Projekt, dem Projekt KVALUES. Dieses hat sich die Frage gestellt, ob Digital Storytelling für die Darstellung von Lebensläufen geeignet ist, und für eine ganze Weile sah es so aus, als wäre das Projektergebnis die Antwort „nein“. Bis die Projektpartner auf die Idee kamen, die Methode zur Abbildung besonders der Talente und Fertigkeiten zu nutzen, über die man keine schriftlichen Nachweise hat. Wenn man all dieses Wissen und diese Erfahrungen nun filmisch darstellt, entsteht eine Art „Showreel“, ein erzähltes und bebildertes Portfolio dessen, was man tatsächlich kann. Als Beispiel zeigte Guido die Filme einer Grafikdesignerin und eines Sounddesigners – klassische Beispiele für Kenntnisse, die man sich im Wesentlichen auch selbst erarbeitet. Dass es aber auch außerhalb des Arbeitsbereichs von Medienschaffenden oder generell Kreativen funktioniert, zeigt etwa der Film „Cake“ einer britischen Bäckerin.

Digital Storytelling mit diesen verschiedenen Schwerpunkten ist eine der Darstellungs- und Erzählmethoden, die unter dem Stichwort „Transmediales Geschichtenerzählen“ zunehmende Verbreitung finden. Transmedia Storytelling bedeutet einerseits, dass zu einem Werk Text und Fotos, Film, Grafikelemente, Animationen, Musik und anderes mehr gehören können, und dass entweder das Ganze oder Teile dieses Werks auf unterschiedlichen Plattformen und in unterschiedlicher Form veröffentlicht werden.

So kann etwa ein über YouTube oder Vimeo hochgeladener Film eine Ergänzung und Erweiterung in Form einer Website haben, die ihrerseits über Twitter oder Facebook verbreitet und kommentiert wird.

Digital Storytelling kann also sowohl Ausschnitte aus dem persönlichen als auch aus dem professionellen Leben abbilden, kann Anliegen und Aufrufe verbreiten, über Vergangenheit und Gegenwart berichten sowie ein Element von Bildung und Ausbildung sein.

Guido beendete die Einführung mit zwei weiteren Beispielen. Zuerst mit dem Projekt „Capture Wales“ der BBC, während dessen fast siebenjähriger Laufzeit hunderte von Geschichten von Walisern aufgezeichnet wurden, um insbesondere die alte Tradition der Stahl- und Kohleindustrie in eine Chronik zu bringen. Der Film „A Dog’s Life“ von Allan Jeffreys, in dem er die Geschichte eines alten geliebten Stofftiers erzählt, das in einem Karton verschwinden musste, als er erwachsen wurde, und erst wieder ans Tageslicht kam, als Jeffreys selbst alt war, ist über die bewegende Geschichte hinaus auch ein gutes Beispiel für das Prinzip der „Story Behind the Story“, der Geschichte hinter der Geschichte.

Dies wurde für einen Teil der im Rahmen von „Capture Wales“ entstandenen Beiträge praktiziert: Die Personen, die ihre Geschichte in einer Digital Story zusammengefasst haben, wurden im Nachgang dazu aufgefordert, den Hintergrund des Geschilderten zu erläutern oder die Motive, die sie dazu bewegt haben, über genau dieses Kapitel ihres Lebens zu erzählen. Leider sind diese Filme in Deutschland nicht sichtbar. Aber sollte der eine oder andere geschätzte Leser einmal in Großbritannien sein: Ein Blick lohnt sich.

Zum Schluss zeigte Guido einen Film mit und über Ken Burns, einen der Pioniere und Schlüsselfiguren des Storytelling, der in einem Interview, bebildert mit einer Reihe von Ausschnitten aus seinen wichtigsten Filmwerken, über die Manipulation des Erzählens spricht. Das eindrucksvollste (positive, denn so ist die Manipulation an dieser Stelle auch gemeint) Beispiel hierfür ist sein Film über Jackie Robinson, der 1947 als erster schwarzer Spieler seit 1888 in ein Team der US-amerikanischen Baseball-Profi-Liga aufgenommen wurde. Wenn ein Baseball-Fan rassistisch ist und ein schwarzer Spieler plötzlich in einem der wichtigsten Teams mitspielt, dann hat der Rassist – so Ken Burns – drei Möglichkeiten: Er kann sich ganz vom Baseball abwenden. Er kann sich für ein anderes Team entscheiden. Oder – er kann sich ändern. Mit Geschichten zu solchen Entwicklungen beizutragen, Menschen die Chance auf einen neuen Blickwinkel zu eröffnen, Gedankenprozesse anzuregen – und auch den Gedanken an die eigene Vergänglichkeit zu bewältigen: Dies sind einige der Motive, die Ken Burns geprägt haben. Und der Film ist hier zu finden.

IMG_3235Die zweite Phase des Workshops, den sogenannten Storycircle, übernahm Sarolta. Sie bat die Teilnehmer, sich nach Größe sortiert aufzustellen und ein Paar mit dem jeweiligen Nachbarn zu bilden. Dann sollten die Partner gegenseitig erraten, welchen Beruf der andere hat, welches seine Hobbys und seine Methoden zur Entspannung sind und welches Gesprächsthema er langweilig findet. Danach folgte – natürlich – die Richtigstellung. Auf diese Weise erfuhren wir, wer gerne romantische Komödien sieht, Sudoku liebt, zeichnet und liest, wer Technik, Politik, Sport langweilig findet, wer tanzt, wer wandert und reist und wer Motorrad fährt.  Wir erfuhren aber auch, dass unter uns Menschen sind, die mit internationalen Studenten arbeiten oder mit unterprivilegierten Kindern arbeiten, Menschen, die über Landwirtschaft bloggen oder für das Projekt Global Voices übersetzen, und Menschen, die schreiben, filmen, fotografieren oder in anderer Weise kreativ arbeiten.

Um sich dem Prozess des Geschichtenerzählens zu nähern, nahm sich jeder Teilnehmer einen der Gegenstände, die Sarolta mitgebracht hatte. Die Aufgabe war, sich für einen Gegenstand zu entscheiden, der Erinnerungen an ein persönliches Erlebnis wachruft. Dieses wurde dann in der Gruppe erzählt. Die nächste Aufgabe war, sich selbst in einer Postkarte von einer Entscheidung zu schreiben, die in der Vergangenheit das eigene Leben verändert hat. Diese Übungen demonstrierten besonders den Teilnehmern, die sich noch unsicher über ihre Geschichte fühlten, mit wie wenigen Worten es möglich ist, das Wesentliche, den Kern zu schildern, und dass die Länge einer Geschichte nichts mit ihrer Qualität zu tun hat.

IMG_3247Vor dem Mittagessen bat Sarolta die Anwesenden, erste Ideen zu ihren Geschichten zu schildern. Die meisten hatten bereits eine (vage) Idee. So wollte Roy aus Indonesien über Vorurteile gegenüber der chinesischen Minderheit sprechen, Azza aus Ägypten über die Arbeit in ihrer NGO, Ha aus Vietnam hatte vor, zu Social Media und Fundraising zu arbeiten, May aus Myanmar wollte ihre Liebe zu Büchern in den Mittelpunkt stellen und Burak schwebte ein Beitrag zum Stichwort Identität vor. Thalia aus dem Libanon war es wichtig zu zeigen, wie Freundschaft Grenzen überwinden kann, Emmie aus Kenia hatte vor, ihre Leidenschaft für die Landwirtschaft zu erläutern und Oleg aus der Ukraine wollte einen Beitrag zu seinem Buch, einer in der Ukraine angesiedelten Dystopie, verfassen.

Nach der Pause begann der Schreibprozess. Die Teilnehmer bekamen die Aufgabe, eine Geschichte zu entwerfen, die möglichst nicht mehr als 250 bis 300 Wörter umfassen und dennoch veranschaulichen sollte, worum es dem jeweiligen Verfasser im Wesentlichen geht. Der Rest des Nachmittags war dieser Arbeit gewidmet.

Am Freitagmorgen ging es mit den letzten Verfeinerungen der Geschichte weiter. Danach ging es ins Audiostudio. Für alle Teilnehmer war es das erste Mal, dass sie eigene Texte eingesprochen haben. Also hat Guido erst einmal einige allgemeinen Ansagen gemacht: Etwa, dass jeder seine eigene Stimme hasst, wenn er sich zum ersten Mal aufgenommen hört. Dass jeder immer schneller und schneller redet, in der Hoffnung, es dann hinter sich zu bringen. Dass dies aber keinem hilft, weil es einfach bedeutet, dass man noch einmal von vorne anfangen muss…

IMG_3282Fast alle waren ein wenig nervös und dementsprechend froh, als sie fertig waren. Aber Guido gab Tipps wie

  • atmen. Was eine erstaunliche Anzahl an Menschen zu vergessen scheint.
  • langsamer werden. Ganz egal, wie langsam man zu sprechen glaubt, – es ist nicht langsam genug.
  • nie nur einzelne Wörter wiederholen. Wenn man sich verhaspelt hat, fängt man zumindest am Satzanfang an. Besser ist es sogar, man fängt in der Mitte des vorigen Satzes an; dann gibt es keine zu auffälligen Unterschiede in der Betonung und das Ganze hört sich weniger zerhackt an.

IMG_3290Nachdem alle Teilnehmer mindestens zwei Versionen ihrer Audioaufnahmen hatten, ging es an den nächsten großen Schritt: Guido gab eine kurze Einführung in die Nutzung der Schnittsoftware.

Da die Wiedergabe der notwendigen Arbeitsschritte an dieser Stelle zu weit führen würde, gibt es hier einen Link zum Workshop „Participatory story – Be a part of it“, den Guido am zweiten Tag des Global Media Forum durchgeführt hat: Hier werden alle notwendigen Schritte zur Erstellung einer Digitalen Geschichte „im Schnelldurchlauf“ erläutert – allerdings in der Konferenzsprache Englisch…

Zusammengefasst lässt sich sagen: Video Editing, wie es zur Produktion beim DS benötigt wird, lässt sich reduzieren auf:

  • Import der Audio-, Bild- und sonstigen Dateien
  • Anpassen der Länge der einzelnen Aufnahmen
  • Schnitt und
  • Setzen der Übergänge.

IMG_3380Mit diesen vier Schritten konnten die Teilnehmer am zweiten und dritten Tag des Workshops ihren Film bearbeiten und fertigstellen. Nachdem der Grobschnitt erledigt war, ging es an die Feinheiten: Wirkt dieses Bild an dieser Stelle gut? Oder soll ich doch noch ein anderes verwenden? Passen Stimme und Bilder so zueinander, dass die Geschichte den richtigen Eindruck vermittelt? Muss doch noch ein Satz herausgeschnitten werden, der sich im Prozess als überflüssig herausgestellt hat? Wie lautet der Titel meines Films und: Brauche ich einen Abspann, weil ich neben meinem eigenen Material doch noch Bilder verwendet habe, die ich zwar benutzen durfte, deren Urheber aber genannt werden muss?

Am Ende des letzten Workshoptags war es dann soweit: Alle Teilnehmer haben ihre Filme produziert und gemeinschaftlich wurden nun die Ergebnisse angesehen – das sogenannte Screening. Dies war noch einmal ein aufregender und im einen oder anderen Fall auch rührender Moment. Alle waren froh und stolz auf die Resultate ihrer (durchaus harten und konzentrierten) Arbeit – aber auch auf die der anderen. Es war eine tolle Gruppe, mit der wir arbeiten durften: Und die Filme sind hier zu finden. Viel Spaß beim Ansehen.

Und wer weiterlesen mag: Einer unserer Workshopteilnehmer hat einen Artikel zu seinem Besuch des GMF geschrieben, in dem es im Wesentlichen um das Forum, aber auch ein bisschen um den Workshop geht.

 

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