Politik nachhaltiger gestalten durch mehr eDemokratie?

(c) Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

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Die mit dem Internet und der Digitalisierung verknüpften Veränderungen erscheinen für viele  so fundamental, dass sie die Zeitrechnung neuerdings in eine Zeit davor und eine danach unterteilen und vom analogen oder vom digitalen Zeitalter sprechen. Dabei wird das WWW in diesem Jahr erst 21 – und scheint die Welt doch bereits grundlegend verändert zu haben -, während die Digitalisierung als „Auslöser einer Revolution“ angesehen wird (und umgekehrt).  Aber was bedeuten Internet und Digitalisierung für die, für unsere Demokratie? Lässt sich mit ihnen Politik nachhaltiger gestalten?Zwar findet das eVoting aus unterschiedlichen Gründen noch wenig Verbreitung in Deutschland, aber ePetitionen etablieren sich insbesondere bei netzaffinen Themen als politische Willensbekundung auf Bundesebene. Unterdessen hat die EU ein E-Petitions-Projekt vorgestellt: „Vom 1. April 2012 an sollen jede Bürgerin und jeder Bürger eines Mitgliedsstaates der EU eine Initiative starten können, um ihre Ideen zu EU-Recht werden zu lassen. Um mit einer Initiative erfolgreich zu sein, muss mindestens eine Million Unterschriften aus wenigstens sieben Ländern gesammelt werden“, vermeldet der IJAB.

eKonsultationen erlauben das Mitdiskutieren oder Partizipieren an politischen Prozessen über Diskussionsplattformen im Internet. In NRW wurden bereits eKonsultationen zum sog. Medienpass NRW durchgeführt und zur Eine-Welt-Politik: „Insgesamt 52.276 Besucher, 268 Besucher mit 1.580 Kommentaren, Beiträgen, Nachrichten und Bewertungen haben an der Online-Konsultation teilgenommen. Bürgerinnen und Bürger, staatliche und nichtstaatliche Organisationen, Unternehmen, Hochschul- und Bildungseinsrichtungen, gesellschaftlich Interessierte, Kirchen und ehrenamtliche Tätige diskutierten hier zu insgesamt zehn inhaltlich aufbereiteten Themenfeldern“, heißt es dazu auf der Webseite. Die eKonsultationen sind Ausdruck für ein neues Politikverständnis. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat sich mit ihrem Kabinettsbeschluss „Open NRW“ vorgenommen, aus Bürgern Beteiligte zu machen. Kritisch wird allerdings eingeräumt:  „Bei Open Data gebe es im Land erste Ansätze, es fehle jedoch eine mit Bund und Kommunen abgestimmte Strategie.“

Auf kommunaler Ebene sind die sog. Bürgerhaushalte als Beispiele für ePartizipation – “top-down” – zu finden. Aber wenn es „ums Geld“ geht, scheint es besonders schwierig zu werden – eine gewisse Unverbindlichkeit “regiert”: In Bonn sprachen sich die Bürgerinnen und Bürger gegen Kürzungen im Kulturhaushalt aus, trotzdem soll es diese geben. Das eng gesteckte Finanzrahmen auf kommunaler Ebene sowie zahlreiche rechtliche Verpflichtungen nicht gerade die Handlungsspielräume für offene Bürgerhaushalte erhöhen, kommt hinzu: Frustpotenzial für eDemokraten. Beides wirkt sich negativ auf die Motivation zur „Beteiligung an der Beteiligung“ aus – mit der Konsequenz: Die Kommunen denken darüber nach, ob die Ausgaben für Diskussionsplattformen im Internet Sinn machen, wie etwa in der Ruhrmetropole Essen. Im ostwestfälischen Gütersloh übt die Lokalpresse Kritik.

http://offeneskoeln.de

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Und doch: Verwaltungsdokumente werden immer häufiger online gestellt und sind plötzlich für die Bürgerinnen und Bürger einsehbar. Initiativ-Projekte wie “Offenes Köln” versuchen hier, städtische Dokumente erschließbarer zu machen – ePartizipation “bottom-up”. Marian Steinbach, der Entwickler von “Offenes Köln” berichtet gegenüber WDR.de, dass sich bereits wenige Stunden nach dem Start der Homepage Mitglieder der Essener Piratenpartei bei ihm gemeldet hätten, um zu besprechen, ob solch ein Angebot auch in Essen möglich sei. Folgt auf „Offenes Köln“ bald „Offenes Essen“? Wann ziehen weitere Städte mit?

Überhaupt: die Piraten! Parteien wie sie, haben es in die Parlamente geschafft und stehen mit ihrer Parteiprogrammatik für mehr Transparenz und Partizipation. Den Bundesparteitag Ende 2010 stellten sie unter das Motto: “Regiert doch einfach mit!”. Dass sie darüber hinaus Netzthemen auf die politische Agenda setzen, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Die Partei Willi Brandts will buchstäblich “Mehr eDemokratie wagen” und die SPD für alle Bürgerinnen und Bürger öffnen, indem sie eine Art „Bürger-TÜV“ für die Erarbeitung eines Regierungsprogramms einführt. Über das Netz sollen auch Nicht-Mitglieder mitdiskutieren können, wie die SPD zukünftig politisch auftritt: Politisches Crowdsourcing? Das Politiker die „Mitmach-Demokratie“ aber nicht unisono willkommen heißen, weil sie den Legitimationsdruck erhöht, politische Handlungsspielräume in Frage stellt und einengt, sollte hierbei nicht unerwähnt bleiben.

Der Social Media Bereich vereinfacht die Selbstorganisation von Bürgerbewegungen – man denke hier an Stuttgart 21 und die Occupy-Bewegung, die auch in Europa Mitstreiter gefunden hat, aber (leider) auch an rechtsextreme Gruppierungen im Netz. Gleichzeitig ist immer öfter die Rede von einer (Gegen)Öffentlichkeit im Internet, egal ob links oder rechts orientiert, wo Social Media die Informationsverbreitung und die Möglichkeit zur  politischen Meinungsäußerung erleichtert haben – bis hin zum klicken des „I like“ Knopfes als Minimalform oder Karikatur politischer Teilhabe. Dass politische Teilhabe dadurch immer schwerer identifizierbar und damit messbarer wird, ist nicht nur ein analytisches Problem für die Politikwissenschaft. Und wer ist hier eigentlich politisch aktiv? Kann man auch hier von einem demokratischen Querschnitt der Bevölkerung ausgehen? Das fragen sich viele.

Wer ist hier eigentlich politisch aktiv, fragt sich auch im Hinblick auf die Qualität mancher Beiträge. Sicher nicht alle, aber viele Aushandlungsprozesse entwickeln sich immer irrationaler. Oder sie geraten unter den Druck kommunikationsstarker Interessenvertreter und/oder Demagogen. Wer schreibt hier was und warum, fragt man sich in Zeiten nutzergenerierter Inhalte. Schon mal was von “Astroturfing” gehört? Dabei geht es nicht um Pferdewetten auf dem Mond, sondern um künstliche, lobby- und/oder unternehmensgebtriebene Graswurzelbewegungen. Dass Vertreter einer starken, beteiligungsorientierter Demokratie, wie etwa Benjamin Barber, in diesem Zusammenhang schon früh von einem „ambivalenten Beitrag digitaler Technologie auf die Demokratie in einer sich globalisierenden Welt“ sprechen, wundert vor diesem Hintergrund nicht.

Kontrollaspekte kommen hinzu. Alexandra Borchardt zitiert in ihrem eDemokratie-skeptischen Beitrag „Wir sind die Klicks“ (SZ am WE vom 17./18. Dez. 2011, S.1) Evgeny Morozov mit den Worten: „Cyber-Utopisten haben nicht vorhergesagt, als wie nützlich sich das Netz für Propaganda erweisen würde, wie meisterhaft Diktatoren lernen würden, es für Überwachung einzusetzen und wie ausgefeilt Systeme für Internetzensur werden würden.“

Fazit

Zusammengefasst lässt sich mit Kathrin Voss sagen:  „Das Netz bietet neue Formen von Partizipation, sowohl von Staatsseite als auch von zivilgesellschaftlichen Akteuren organisiert. Die Chancen, Bürger und Bürgerinnen verstärkt in den politischen Prozess einzubinden, sind also vorhanden, werden aber vor allem bei den Top-down-Möglichkeiten bisher nur in einem sehr eingeschränkten Maße von den Menschen wahrgenommen. Das hat sicherlich zum einen etwas damit zu tun, dass diese Verfahren noch neu sind und man erst Erfahrungen damit sammeln muss. Auf der anderen Seite wird es sicherlich notwendig sein, bei den staatlichen Angeboten ein gewisses Maß an Verbindlichkeit zu schaffen, um die Bürger und Bürgerinnen zur Beteiligung zu motivieren. Im Gegensatz dazu stellt die Beteiligung bei den zivilgesellschaftlichen Angeboten meist kein Problem dar, aber eine hohe Beteiligung kann nicht mit einer entsprechenden Wirkung gleichgesetzt werden. Bei der Vielzahl von Organisationen und Einzelpersonen, die inzwischen diese Kampagnenformen nutzen, besteht die Gefahr, dass die damit verknüpften Botschaften in der Masse der Petitionen und Massen-E-Mails untergehen.“

Die Potenziale sind also da, werden aber noch nicht auf breiter Ebene ausgeschöpft, um Politik durch mehr eDemokratie und Bürgerbeteiligung nachhaltiger zu gestalten. Was das bspw. für die politische Bildung bedeutet, lässt sich schon jetzt online und Mai 2012 im „real life“ diskutieren: „Zeitalter der Partizipation: Paradigmenwechsel in Politik und politischer Bildung?“ ist das Motto des diesjährigen Bundeskongress‘ Politische Bildung. Im eigens eingerichteten Programm-Wiki und Blog zum Kongress können alle Interessierten ab sofort Workshopvorschläge einreichen, diskutieren und sich über die Themen der Veranstaltung austauschen.

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