Nachhaltigkeit neu denken – Bericht vom Deutsche Welle Global Media Forum 2012
Mit der Nachhaltigkeit ist es ein wenig so wie mit der Relativitätstheorie: Jeder hat irgendwie schon einmal davon gehört, aber kaum einer weiß, worum es eigentlich geht. Seit nunmehr vielen Jahren – und erst letzte Woche wieder in Rio – zerbrechen sich NachhaltigkeitsaktivistInnen, WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen in und aus aller Welt die Köpfe darüber, wie sich das Thema Nachhaltigkeit nicht nur auf staatlich-institutioneller Ebene implementieren, sondern vor allem in die Alltagswelten der Menschen übersetzen und integrieren lässt. Auf dem diesjährigen Deutsche Welle Global Media Forum nimmt sich auch die Deutsche UNESCO-Kommission dieses Problems an, wenn sie nach „New Approaches to Education for Sustainable Development (ESD)“ fragt, so der Titel eines Workshops am 26.06 in Bonn.
In ihrer Begrüßungsrede verweist die frisch aus Rio angereiste Moderatorin des Workshops, Monika Hoegen, darauf, dass gerade in Anbetracht der durchwachsenen Ergebnisse des UN-Nachhaltigkeitsgipfels noch viel für die Bildung für nachhaltige Entwicklung – so die deutsche Formel für ESD – zu tun sei. Eine zunehmend wichtige Rolle spiele in diesem Kontext die informelle (Erwachsenen-)Bildung, die jedoch neuer Werkzeuge bedürfe. Gemeint sind damit im Kontext der Veranstaltung digitale Medien, deren Potentiale für die Nachhaltigkeitsbildung im Rahmen des Workshops in den Blick genommen werden sollen. Anhand zweier Best Practice-Beispiele soll ein Eindruck von den Formen und Methoden der Nachhaltigkeit 2.0 vermittelt werden.
Den Anfang macht Dr. Jutta Franzen vom Kolleg für Management und Gestaltung nachhaltiger Entwicklung gGmbH (KMGNE), die schwerpunktmäßig in den Bereichen e-Learning und Web 2.0 arbeitet. Zum Einstieg zeigt sie einige Videoclips, die im Rahmen des UN-Dekade-Projekts „Internationale Sommeruniversität – Audiovisuelle Kommunikation Erneuerbarer Energien, Energieeffizienz und Klimafolgen“ entstanden sind:
Bei der Internationalen Sommeruniversität handelt es sich um ein Weiterbildungsangebot im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung, das mittels moderner Medien Kernkompetenzen für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft vermitteln und Lernprozesse anstoßen will. Die zentralen Bausteine der Sommeruniversität sind laut Dr. Franzen Partizipation, Kommunikation und interkultureller Austausch, die sich über soziale Medien besonders gut realisieren lassen. Stärker denn je sei Kommunikation zudem von Bildern beeinflusst – Dr. Franzen spricht vom „iconic turn“ – weshalb eine zentrale Aufgabe der Sommeruniversität die Erarbeitung neuer Metaphern, Bilder und Ästhetiken für die Nachhaltigkeitskommunikation sei. Zielgruppen sind Menschen, die bereits im Nachhaltigkeits- und/oder Medienbereich tätig sind und sich auf interdisziplinäre und multimediale Weise zum Thema Nachhaltigkeit austauschen und weiterbilden wollen. Das Programm der Sommeruniversität läuft über Blended Learning-Verfahren, die e-Learning- und Präsenzveranstaltungen kombinieren und die Konzeption und Erstellung der eingangs gezeigten „Climate Clips“ zum Mittelpunkt haben.
Das Web 2.0 ist für die Initiatoren der Sommeruniversität dabei mehr als ein bloßes technisches Hilfsmittel, denn soziale Medien seien ebenso Teil einer kulturellen Praxis, so Dr. Franzen. Damit ist die Sommeruniversität auch ein Experimentierfeld für neue Formen der (Nachhaltigkeits-)Kommunikation, die den Prinzipien der Kollaboration, Partizipation und Demokratisierung folgen: Jeder kann zugleich Sender und Empfänger, Konsument und Produzent sein – „Broadcast yourself“ ist das Motto.
Dieser „participatory turn“ im Gefolge neuer Medien entspricht in besonderer Weise den Leitprinzipien der Bildung für nachhaltige Entwicklung – eine These, die es in den Lern- und Arbeitsabläufen der Sommeruniversität praktisch umzusetzen gilt: Über unterschiedliche Medien und Plattformen wie das e-Learning-System Moodle, einen Blog, Facebook und Twitter, um nur einige zu nennen, soll nach Dr. Franzens Aussage ein kollaborativer Arbeitsraum geschaffen werden, in dem die TeilnehmerInnen gemeinsamen denken, kommunizieren und schreiben können.
Denselben Zweck verfolgt auch die Methode des Social und Transmedia Storytelling, das im Entwurf gemeinsamer Zukunftsvisionen unterschiedlichste Akteure zusammenbringt, die mit verschiedenen medialen Formaten experimentieren sollen.
Soziale Medien spielen im Falle der Sommeruniversität jedoch nicht nur bei der Erstellung der Inhalte eine wichtige Rolle, sondern auch bei deren Verbreitung, die über Facebook, Twitter, Blogs oder YouTube und in der Hoffnung auf virale Effekte organisiert wird. Laut Dr. Franzen dürften aber auch klassischere Formen der Nachhaligkeitskommunikation nicht zu kurz kommen, wenn man eine möglichst breite Masse an Menschen erreichen wolle.
Hier können sie die Präsentationen von Frau Dr. Franzen und Herrn Dr. Borner (am Workshoptag leider erkrankt) noch einmal in Gänze anschauen.
Neue Wege beschreitet auch das Projekt DeTALES („Digital Education Through Adult Learners EU-Enlargement Stories“), das im Anschluss von Dr. Harald Gapski und Guido Kowalski, zwei Mitarbeitern des Grimme-Instituts, vorgestellt wird.
Das Projekt aus dem Bereich der Erwachsenenbildung kombiniert ein anthropologisches Grundbedürfnis – das Geschichtenerzählen – mit der stetig wachsenden Verfügbarkeit digitaler Medien, wie Dr. Gapski erläuert. Das Ergebnis sind „short, personal multimedia tales told from the heart“ – individuelle und emotionale Geschichten also, die komplexe und sperrige Inhalte durch Techniken der Personalisierung zugänglicher machen sollen. Im Falle von DeTALES steht dabei die EU-(Ost-)Erweiterung im Fokus des digitalen Geschichtenerzählens, das auf einer Website, auf Video-Kanälen, in Workshops, auf Konferenzen und Festivals sowie durch ein Handbuch Verbreitung findet. Aber auch das Thema Nachhaltigkeit bietet sich für Methoden des Storytelling an, wie jüngst z.B. auch Harald Welzer mit „Futur Zwei“ gezeigt hat. Ein Patentrezept für erfolgreiche Nachhaltigkeitskommunikation also?
Ganz so einfach ist es mit dem Geschichtenerzählen dann doch nicht, wie Guido Kowalski im Folgenden zeigt: Nicht jedem ist das Erzählen in die Wiege gelegt, ebenso wenig wie der sichere Umgang mit digitalen Medien. Wie also lassen sich diese Hürden überwinden? Um einen persönlichen und intimen Rahmen für das Storytelling zu schaffen, arbeitet das DeTALES-Projekt laut Kowalski mit sogenannten story circles, die aus maximal 8 Personen bestehen. Über persönliche Gegenstände oder „Like-/Dislike“-Listen lässt sich in erstaunlich kurzer Zeit eine Vertrauensbasis herstellen, die für das Erzählen persönlicher Geschichten essentiell ist. Ein Gefühl für den zeitlich engen Rahmen der Stories – in der Regel zwei Minuten – kann über das „Match Game“ vermittelt werden: Alle Geschichten, die im Rahmen des Spiels erzählt werden, dürfen die Brenndauer eines Streichholzes nicht überschreiten.
Technische Berührungsängste lassen sich vor allem durch kurze, klare Erklärungen beseitigen, die sich auf das Notwendigste beschränken, so Kowalski, denn „Tech Talk“ wirke in der Regel abschreckend. Außerdem gilt auch hier, was für den Umgang mit dem Neuen und Unbekannten im Allgemeinen gilt: Probieren geht über Studieren – die TeilnehmerInnen sollen möglichst früh möglichst viel selbst umsetzen. Für den chronisch unterfinanzierten Nachhaltigkeitsbereich ist vor allem der Kostenrahmen des DeTALES-Projekts interessant: Laptop, Kamera, Audio-Aufnahmegerät und Software kauft das Team für nur 500 Euro zusammen.
Den Übergang zur Leitfrage des Workshops – wie lässt sich Nachhaltigkeit neu denken? – schafft Dr. Gapski durch eine kurze Vorstellung des UN-Dekade-Projekts NRW denkt nach(haltig), das NachhaltigkeitsaktivistInnen und -projekte in NRW bei ihrer Arbeit unterstützen will. Die schwierige Kombination aus knappen Ressourcen und komplexen Inhalten beschäftigt auch das NRW denkt nach(haltig)-Team, weshalb im Projekt die Idee aufkam, das Storytelling-Prinzip auch auf das Nachhaltigkeitsthema anzuwenden. Auf diese Weise lassen sich mit wenigen finanziellen und personellen Mitteln die recht abstrakten Inhalte der Nachhaltigkeit auf eine persönliche Ebene herunterbrechen, die Handlungsanleitungen einschließt – frei nach dem Motto „Tell your story – make them think!“ Unter diesem Leitspruch veranstaltet das Projekt denn auch im Juli einen bereits ausgebuchten, viertägigen Workshop, über den wir natürlich im hiesigen Blog berichten werden.
Einen Vorgeschmack auf mögliche Ergebnisse liefert dieses Storytelling-Video aus dem „Project Aspects“, einen britischen Nachhaltigkeitsprojekt zum Problem des Klimawandels.
Die abschließende Diskussion wird klar durch zwei Themen dominiert, die bereits in den Vorträgen zur Sprache gekommen sind: Zum einen die Frage, was das essentiell Neue am digitalen Geschichtenerzählen sei, zum anderen der Zusammenhang von Storytelling-Methode und Nachhaltigkeit.
Auch wenn das Geschichtenerzählen vermutlich so alt ist wie die Menschheit selbst, war es gleichwohl noch nie so einfach, persönliche Erlebnisse und Ideen auch als Laie in eine breite, globale Öffentlichkeit zu tragen – nicht umsonst gilt das 21. Jahrhundert als das „Age of Amateurs“. Neue Medien legen den Grundstein für eine partizipative Kultur, in der theoretisch jeder Zugang zu Techniken und Plattformen hat, um persönliche Botschaften zu verbreiten. In Kombination mit Methoden der Emotionalisierung und Personalisierung, wie sie beim Digital Storytelling Anwendung finden, eröffnen sich dadurch völlig neue Perspektiven für die Verbreitung eines Themas wie Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Denn anders als journalistische Reportagen, wissenschaftliche Befunde oder politische Beschlüsse setzen die digitalen Geschichten auf einer persönlichen und alltäglichen Ebene an und leisten damit vor allem einen Beitrag zur Komplexitätsreduktion: Der abstrakte und mitunter sperrige Begriff „Nachhaltigkeit“ (oder „Bildung für nachhaltige Entwicklung“) kann auf diesem Weg mit Leben gefüllt und in die Alltagswelten der Menschen transportiert werden.
Zum anderen generieren diese Geschichten durch ihren persönlichen Charakter eine Währung, die gerade im Internetzeitalter von unschätzbaren Wert ist: Authentizität. Denn nur wer die eigene Botschaft möglichst glaubwürdig vertritt, kann darauf hoffen, dass sie bei anderen etwas bewegt.
Update: Auch die deutsche UNESCO-Kommission hat mittlerweile einen Bericht zum Workshop vorgelegt, der hier nachzulesen ist.
01. Juli 2015 um 16:48
[…] Grimme-Team war bereits zum vierten Mal auf dem GMF dabei. Berichte aus den Jahren 2012 und 2014 befinden sich ebenfalls im […]