Mehr als nur dabei!
Am Morgen des 26.10.2012 startet Kölner KOMED die Veranstaltung „Mehr als nur dabei! Fachtagung zu Migration, Partizipation und Medien“, um an diesem Tag einen kritischen Blick hinter die Kulissen des deutschen Medienbetriebs zu werfen. Bereits der Veranstaltungstitel verweist darauf, dass die Rolle MigrantInnen dabei im Zentrum steht, die in der gegenwärtigen Medienlandschaft zugleich als Macher und als Gegenstand der medialen Darstellung vertreten sind.
Zwischen Querschnitt und Klischee
Die VeranstalterInnen – das Projekt „Medienkompetenz in der Öffentlichkeit“ und die Grimme-Akademie – beginnen den Tag mit einem praktischen Einstieg und zeigen einige Zusammenschnitte aus der Dokuserie „Wir sind Deutschland. 12x Leben zwischen Flensburg und Freiburg“ von EinsPlus. Der Name ist in diesem Fall Programm, denn es geht den Machern darum, einen Querschnitt der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft abzubilden, der auch die Schicksale von MigrantInnen einschließt. Dabei bleiben jedoch auch jene Probleme nicht aus, die solche Identitätsoffensiven nun einmal mit sich bringen: Denn auf der einen Seite haben die Macher Kirsten Kustusch (EinsPlus) und Alessandro Nasini (wellenreiter.tv) nach eigener Aussage versucht, „so breit wie möglich“ zu erzählen und Vielfalt abzubilden, weshalb die dargestellten Migrantenschicksale vom kosovarischen Popsternchen über die arabische Frauenrechtsaktivistin bis hin zum Teenie-Pärchen reichen, das gemeinsam die erste eigene Wohnung bezieht. Zugleich besteht bei dem Label „Wir sind Deutschland“ aber natürlich auch die Gefahr, in die Stereotypenfalle zu tappen und die Protagonisten eben nicht in ihrer Einzigartigkeit, sondern als Repräsentanten bestimmter Milieus darzustellen.
Diese Spannung durchzieht die anschließende Filmdiskussion, die sich wesentlich um die Frage dreht, ob eine Serie wie „Wir sind Deutschland“ Vorurteile gegenüber MigrantInnen nun aufweicht oder verfestigt. So kommt aus dem Publikum beispielsweise der Hinweis, dass auch diese Serie, das zumindest legen die vorgestellten Ausschnitte dar, Migranten vornehmlich als Problemfälle darstellen würde und also mit der üblichen Mediendarstellung, insbesondere im Privatfernsehen, konform geht. Abschließend klären lässt sich diese Frage sicherlich nur, wenn man die Serie in ihrer Gesamtheit in den Blick nimmt. Dennoch betont Aycha Riffi am Schluss der Diskussion, dass die TeilnehmerInnen „schon über das Richtige“ gesprochen hätten: Die Frage, wie Stereotypisierung funktioniert, wo sie anfängt und welche Geschichten man eigentlich über MigrantInnen erzählt, müsse von MedienmacherInnen in der Tat häufiger thematisiert werden.
In der Stereotypenfalle
Mit diesen Schlussworten Riffis ist im Wesentlichen die Marschrichtung für das nachfolgende Panel vorgegeben, das sich in der Diskussion mit Dr. Lale Akgün (Staatskanzlei NRW) , Sheila Mysorekar (Neue Deutsche Medienmacher), Nikolaus Georgakis (Stiftung Zollverein), Ekrem Senol (MiGAZIN), Alessandro Nasini (wellenteiter.tv) im Kern um eben jene Fragen nach Stereotypisierung und Diskriminierung dreht.
Alle Beteiligten sind sich schnell einig, dass MigrantInnen im deutschen Medienbetrieb nach wie vor auf vielfältige Weise benachteiligt sind. Das fängt schon damit an, dass lediglich 1% der JournalistInnen im Printbereich einen Migrationshintergrund haben, wie Sheila Mysorekar anmerkt. Auch Nikolaus Georgakis bestätigt, dass gewisse Bevölkerungsgruppen, wie z.B. Migranten, in den deutschen Medien schlichtweg keine Stimme hätten.
Hinzu tritt der Umstand, dass die Wenigen, die es geschafft haben, in den Redaktionsräumen meist auf sogenannte „Migrantenthemen“ reduziert werden. Immer wieder begegnen JournalistInnen mit Migrationshintergrund der irrtümlichen Annahme, sie seien „qua Abstammung“ (Alessandro Nasini) besonders qualifiziert oder zu voreingenommen, um bestimmte Themen zu bearbeiten. Guter Journalismus habe jedoch nichts mit der Herkunft zu tun, so Nikolaus Georgakis, sondern damit, ob man sein Handwerk versteht oder nicht: Die Kernkompetenz des Journalisten liege ja gerade darin, sich ohne oder trotz persönliche(r) Betroffenheit in ein Thema einarbeiten zu können.
Dr. Lale Akgün plädiert vor dem Hintergrund des Gesagten dafür, sowohl den Exotenstatus als auch die scheinbare Homogenität der Migranten als Bevölkerungsgruppe aufzubrechen: Denn bei den 20% der deutschen Bevölkerung, die einen Migrationshintergrund mitbringen, handelt es sich weder um Gleichgestellte noch Gleichgesinnte. Auch MigrantInnen gehören unterschiedlichen Communities an und die Grenzen zwischen ihnen verlaufen „hundertmal“ entlang diverser ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Zuordnungen. Deshalb sei es von enormer Wichtigkeit, so Akgün, dass gesamtgesellschaftlich an der „Konstruktion einer neuen Wirklichkeit“ gearbeitet werde, die von multiplen Identitäten ausgeht und sich – auch auf MigrantInnenseite – von starren Wir-Konstruktionen verabschiedet.
Dieser Aussage pflichtet auch Nikolaus Georgakis bei, der betont, dass die scheinbare Einheitlichkeit der migrantischen Bevölkerungsgruppe ebenso wie der der Status als sogenannter „Ausländer“ von außen aufgezwängt und konstruiert seien: „Das ‚Wir‘ wird gemacht.“
Das Problem an der Wurzel packen
Wie jedoch soll der Weg in diese neue Wirklichkeit aussehen? Wie kann man Medien und Mehrheitsgesellschaft erfolgreich interkulturell öffnen?
Dem Schubladendenken entkommt man nur schwer, da sind sich alle TeilnehmerInnen einig, weshalb es mit Oberflächenkorrekturen nicht getan ist. Instrumente wie anonymisierte Bewerbungen sind zwar ein erster Schritt, allerdings geht es im Kern um „strukturelle Diskriminierung“, wie Sheila Mysorekar anmerkt, die von den Medien zuallererst einmal als solche benannt werden müsse. Gefragt sei eine aktive Auseinandersetzung mit den Bildern und Stereotypen, die die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung von MigrantInnen nach wie vor prägen.
Nicht zuletzt bringt Myrosekar die Idee einer Quote ins Spiel, denn ähnlich wie bei der Frauenfrage könne man nicht darauf vertrauen, dass sie gesellschaftlichen Strukturen sich in absehbarer Zeit von alleine wandeln werden, vielmehr bedürfe es „einer bewussten Anstrengung“.
Exrem Şenol plädiert deshalb für eine „Themenoffensive“, die JournalistInnen mit Migrationshintergrund nicht nur in die Refaktionsräume, sondern auch in die Chefetagen bringt, damit sie dort bewusst andere Akzente setzen können. Dabei geht es den TeilnehmerInnen des Panels nicht nur um eine quantitative Verschiebung, auch qualitativ müssten Migranten für einen besseren Journalismus einstehen, der vorurteilsbewusster vorgeht und damit leztlich nicht für Migranten, sondern für die Gesellschaft insgesamt gut sei, wie Sheila Mysorekar betont.
Die von Ekrem Şenol vorgeschlagene Themenoffensive ist – für JournalistInnen wie für LeserInnen gleichermaßen – auch ein Versuch, die Medien aktiv zu erziehen, wie dies seiner Meinung nach z.B. im „BILD-Blog“ geschieht.
Auch Nikolaus Georgakis verweist darauf, dass nicht zuletzt die Leserschaft gefragt sei, wenn es um Veränderungen in der Wahrnehmung geht: Denn auch im Journalismus steigt der Effizienzdruck, worunter vor allem Qualität und Differenziertheit der Berichterstattung leiden werden. Die Leserschaft kann sich hier als mögliches Korrektiv einschalten: „Schreibt Leserbriefe!“, so der Appell von Georgakis.
Am Ende dieser ebenso heftigen wie aufschlussreichen Diskussion über Stereotypen, Stigmata und Strukturen wird aus dem Publikum ein Aspekt eingebracht, der in der vorangegangenen Diskussion kaum aufgetaucht ist: Ist es möglich, das Schicksal als MigrantIn nicht nur als Bürde, sondern auch als Chance wahrzunehmen? Denn vielleicht haben Menschen mit Migrationshintergrund ja doch einen anderen Blickwinkel auf die Gesellschaft, der ihnen selbstverständlich nicht in die Wiege gelegt ist, sondern aus den Benachteiligungen erwächst, die sie tagtäglich erfahren. Mit dieser Stigmatisierung geht jedoch womöglich auch eine Sensibilisierung gegenüber gesellschaftlichen Strukturen einher, die MedienmacherInnen mit Migrationshintergrund unter Umständen mit einer „doppelten Kompetenz“ ausstattet, wie eine Publikumsteilnehmerin vorschlägt.
Auf die Schnelle
Nach der Mittagspause geht es weiter mit den sogenannten „Speed Labs“: Im Gegensatz zum üblichen Workshopkonzept müssen sich die TeilnehmerInnen hierbei nicht für ein Angebot entscheiden, sondern können als Mitglieder einer gleichbleibenden Gruppe unterschiedliche Stationen in den vier Ecken des Veranstaltungsraumes durchlaufen.
Einen möglichen Anfang machen Uli Bez und Roula Balhas, die den Film „Töchter des Aufbruchs“ vorstellen. Gefördert vom Frauennotruf München hat Bez eine Dokumentation gedreht, die drei Generationen unterschiedlichster Migrantinnen zu ihren Erfahrungen mit und in Deutschland befragt. Die Pionierinnen der ersten Generation haben den Grundstein für ein Leben in Deutschland gelegt und ihre Töchter und Enkelinnen berichten davon, was sie daraus gemacht haben – so zum Beispiel Roula Balhas, eine Vertreterin der zweiten Generation.
Wichtig war der Macherin Uli Bez, die Geschichte von Migrantinnen als Teil der deutschen Geschichte zu erzählen in einem Aushandlungsprozess, der gleichberechtigt migrantische Perspektiven mit ihrem eigenen, nicht-migrantischen Hintergrund zusammenzubringt.
Das scheint ihr gelungen zu sein, wie das positive Echo aus der Gruppe zeigt. Begleitet ist das Lob jedoch von dem Bedauern, dass der Migrationshintergrund in den Mainstream-Medien – und anders als bei Bez – viel zu häufig als Makel verhandelt werden und nicht als kreative Ressource. Eine Einschätzung, die Roula Balhas jedoch, zumindest für ihre Generation, zurück nimmt: MigrantInnen der zweiten und noch mehr der dritten Generation seien viel stärker bereit, sich vom Opferstatus zu verabschieden und die Begegnung auf Augenhöhe zu suchen und zu fordern.
Weiter geht es mit der Initiative „dox“, die bereits seit einigen Jahren ein recht brachliegendes Feld beackert: Im Rahmen der Duisburger Filmwoche arbeiten die MacherInnen an Filmprojekten mit und für Kinder(n) und Jugendliche(n), die auf einem gleichnamigen Festival einer größeren Öffentlichkeit gezeigt werden.
Am heutigen Tage stellt Mitbegründerin Gudrun Sommer zwei Projekte vor, die zum einen die Lebenswelt von Duisburger Hauptschülern und zum anderen das Verhältnis Kinder und Jugendlicher zu (Massen-)Medien zum Thema haben. Insbesondere der zweite Filmausschnitt zum Projekt „Das soll ich sein?“ schlägt eine Brücke zu den Diskussionen des Vormittags: Kinder und Jugendliche sollen darin ihr eigenes Verhältnis zu Medien reflektieren und der Frage nachgehen, inwiefern sie sich dort als (nicht) adäquat dargestellt empfinden. Interessanterweise stellten die Kinder und Jugendlichen dabei die gleichen Mängel fest, die bereits die Profis auf dem Panel kritisiert hatten: Auch die Kinder und Jugendlichen wenden sich gegen eine Mediendarstellung, die sich vor allem auf „gescheiterte Integration“ konzentriere, so Sommer, und zeigen in diesem Kontext eine Abneigung gegen Inszeniertheit, künstliche Zuspitzung und Scripted Reality-Formate. All dies führt nach Aussage Sommers dazu, dass insbesondere Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund das Fernsehen nicht als zentrales Medium der Identitätsbildung wahrnehmen würden.
Auch im nächsten Projekt geht es unter dem Motto „Wir reden mit!“ um Migranten in der Medienarbeit (MiM). Im Zentrum der Arbeit des Carritasverband Wuppertal/Solingen e.V. und Remscheid e.V. standen sogenannte „Drittstaatsangehörige“ – MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern also – die in Zeitungsbeiträgen und einer Radiosendung ihre Erfahrungen in und mit Deutschland schildern konnten. Neben der Förderung interkulturellen Austauschs ging es dabei auch um eine Steigerung von Medienkompetenz, die ein wichtiger Schritt hin zu mehr Partizipation sein kann. Dies verdeutlicht auch der Filmbeitrag zum Projekt, der u.a. die Vorbereitungen zu einer Radiosendung aus der JVA Solingen begleitet und dadurch einer doppelt marginalisierten Gruppe – MigrantInnen in Haft – eine Stimme verleiht.
Den Abschluss macht ein recht ungewöhnlicher Beitrag zum Thema Migration, Partizipation und Medien: Esther Donkor stellt die von ihr ins Leben gerufene Website KrauseLocke.de vor, auf der Frauen und Männer mit krausem Haar sich zu Pflege- und Styling ihres Schopfes informieren können – ein bis jetzt einzigartiges Angebot in Deutschland. Was das mit dem Thema der Fachtagung zu tun hat, offenbart sich erst auf den zweiten Blick: Denn viele afrikanischstämmige Frauen und Männer erfahren Rassismus und Eurozentrismus durch ihr Haar im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leibe: Ihre krausen Haare stehen schlichtweg nicht auf der Agenda der westlichen Schönheitsindustrie – entsprechend geschulte Friseure und passende Produkte sind rar. Dieser kosmetische Engpass verweist jedoch auf eine weitaus umfassendere Marginalisierung innerhalb der westlichen Gesellschaften, in deren Zuge das krause Haar vieler schwarzer Frauen und Männer zum Problem oder gar Makel wird: Aus diesem Grund wird es z.B. durch sogenannte „Relaxer“ häufig geglättet, um den durch eine weiße, westliche Gesellschaft diktierten Schönheitsvorstellungen stärker zu entsprechen.
Insofern ist KrauseLocke.de nicht nur ein Beauty-, sondern auch ein Emanzipationsangebot und es verwundert nicht, dass die Website in der Rubrik „Krause Kultur“ auch gesellschaftliche und politische Themen wie z.B. das Zamparoni-Lächeln verhandelt.
Das durchweg positive Echo auf Donkors Idee macht sich vor allem an dem Umstand fest, dass die Problematik von Rassismus und Stereotypisierung auf KrauseLocke.de lösungsorientiert angegangen wird, ohne dass ihre Wirkmächtigkeit unter den Teppich gekehrt wird. Durch die Nutzung des Internets eröffnet sich außerdem ein neuer medialen Horizont, der die Frage aufwirft, ob der Weg zu mehr Partizipation (nicht nur) für MigrantInnen eventuell über das Web führt.
Zum Abschluss der Veranstaltung eröffnet sich so noch einmal eine diskussionswürdige Perspektive, die aufzeigt, dass es nicht nur die etablierten Medien aktiv zu verändern gilt, sondern dass auch die partizipativen Potentiale neuer Medien stärker erkundet werden müssen, wenn MigrantInnen im Medienbetrieb in Zukunft tatsächlich „mehr als nur dabei“ sein sollen.
22. Oktober 2015 um 10:06
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