„Die Menschen sehen: Wir machen was!“ Uwe Flohr vom Verein „Hilfe für psychisch Kranke e.V. Bonn / Rhein Sieg“ im Gespräch mit NRW denkt nachhaltig
Mit diesem Interview beginnt NRW denkt nach(haltig) eine neue Reihe von Beiträgen im Projektblog. Die Interviews sollen Projekten und Aktiven im Nachhaltigkeitsbereich die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und die Diskussion um Nachhaltigkeit mit eigenen Erfahrungen anzureichern sowie anderen Anregungen für die eigene Projektarbeit zu geben.
In diesem Interview erzählt Uwe Flohr, stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Hilfe für psychisch Kranke e.V. Bonn / Rhein Sieg“, was sich in der Initiative „Seele trifft auf Schule“ getan hat, seit der Auszeichnung mit dem Preis für soziale Nachhaltigkeit im Wettbewerb von NRW denkt nach(haltig) im Dezember 2013 . Außerdem berichtet er aus der Arbeit mit der Zielgruppe Migrant(inn)en und skizziert die Zukunftspläne seiner Projekte.
Im Dezember 2013 wurde die Initiative „Seele trifft auf Schule“ beim Wettbewerb von NRW denkt nach(haltig) mit dem Preis für soziale Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Wie helfen Ihnen solche Auszeichnungen bei Ihrer ehrenamtlichen Arbeit?
Für das Projekt „Seele trifft auf Schule“ haben wir bisher 14 Preise erhalten. Dies hilft uns vor allem gegenüber unserer Zielgruppe Schulen. Besonders freuen wir uns, dass die UNESCO Deutschland unsere Workshops für Eltern in die Reihe der ausgewählten Projekte der Aktionstage für nachhaltige Bildung 2014 aufgenommen hat. Als wir für das Projekt „Sonnenkinder“ im Juni 2014 auf dem Münsterplatz den Integrationspreis der Stadt Bonn verliehen bekommen haben, hat natürlich auch unseren Bekanntheitsgrad erhöht. Die Menschen sehen: wir machen was! Und das gibt natürlich auch unserer Sache nach außen Bedeutung.
Wie hat sich Ihre Arbeit in den Projekten im vergangenen Jahr weiter entwickelt; was gibt es Neues?
Mit unseren Workshops für Eltern konnten wir mittlerweile ein drittes Modul innerhalb des Projekts „Seele trifft Schule“ erarbeiten und haben damit unser Konzept von vor sechs Jahren erreicht. Zusätzlich zu den Informationsveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler und den pädagogischen Tagen für Lehrkräfte bzw. Seminaren mit Schulsozialarbeitern vervollständigen diese Workshops unser Angebot und wir beziehen das häusliche Umfeld in den Informationsprozess mit ein. Zwei solcher Elternabende haben wir bisher durchgeführt und sind uns sicher, dass auch dieses dritte Modul in Zukunft angefragt werden wird. Der Bedarf ist eindeutig da. Außer uns gibt es in Deutschland nur drei weitere Projekte dieser Art. Insgesamt haben wir seit Projektstart schon 70 Veranstaltungen durchgeführt. Ehrenamtlich und kostenlos stehen dabei ganz oben an. Und das erreichen wir auch, durch sehr aufwendiges Fundraising.
Neu ist außerdem unser Theaterprojekt „Gefällt mir!“ für die Sonnenkinder. Dieses eigenproduzierte Theaterstück wird im Winter mit der Kinder- und Jugendlichengruppe geprobt und im April/Mai in deren Gruppenhaus aufgeführt. Dass die Eltern dem zugestimmt haben, zeigt deren Vertrauen in uns. Für uns ist das Stück sehr spannend, denn wir wollen es auch für den Prozess der Meinungsbildung nutzen und Presse, Förderer usw. einladen, um die Sonnenkinder selbst zu erleben. Genauso wie die im November erwarteten Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung durch die FH Köln, hilft uns das, weitere Förderer zu gewinnen.
Viele der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in Ihren Projekten haben einen Migrationshintergrund. Auf welche Besonderheiten stoßen Sie bei der Arbeit mit der Zielgruppe Menschen mit Migrationshintergrund und wie gehen Sie mit diesen Herausforderungen um?
55 bis 60 Prozent unsere Sonnenkinder haben einen Migrationshintergrund. Das hat auch den Integrationsrat der Stadt Bonn veranlasst uns auszuzeichnen. Wir wurden besonders gelobt, dass wir gerade beim Tabuthema psychische Krankheit diese Zielgruppe ansprechen. Das gab uns den Impuls das Thema Migration als Querschnittsthema in den Blick zu nehmen. Wir habe gesagt: Wir wollen selber erfahren: Was tun wir für wen? Mit wem müssen wir uns zusammentun, was müssen wir noch lernen? Eine wichtige Erkenntnis war: Ohne fremdsprachige Literatur kommen wir nicht aus. Deswegen bieten wir nun türkische und englische Flyer an. Und ab Anfang nächsten Jahres wird es sie auch in Russisch und Arabisch geben. Wir richten uns natürlich auch an die psychisch erkrankten Eltern selbst und laden sie ein: Hier bekommt ihr Informationen und Hilfe.
Aber es gibt nicht nur das Sprachproblem, sondern auch kulturelle Probleme. Zum Beispiel versuchen Muslime oft, Probleme in der eigenen Familie zu regeln. Mit russischen Familien haben wir die Erfahrung gemacht, dass es für sie nicht sein darf, dass jemand in ihrer Familie psychisch krank ist. Da wird Hilfe natürlich ganz schwierig. Das verändert sich erst mit der zweiten oder dritten Generation, wenn auch bekannt ist, was hier alles möglich ist. Wir wollen deswegen mit verschiedenen Migrantenorganisationen zusammenarbeiten, um Blockaden zu überwinden. Aber das kann man nicht einfach mit der linken Hand machen und wir stehen erst am Anfang. Wir haben schon Zusagen von jungen Frauen, die hier aufgewachsen sind, die sich auskennen und uns helfen, Sprachschwierigkeiten zu überwinden und Gesprächstermine zu vereinbaren.
Neu ist bei Ihnen auch, dass die „Sonnenkinder“ die Projektleiterin nicht mehr nur über Telefon, SMS und E-Mail, sondern auch über What’s App erreichen können. Welche Erfahrungen haben Sie damit bisher gemacht?
Bei dem ersten Gespräch zum Theater „Gefällt mir!“ habe ich das mal begleitet und nachgefragt. Die Ansprechbarkeit unserer Leiterin bietet den Sonnenkindern ein Kommunikationssystem aus ihrer schwierigen familiären Situation heraus. Sie haben nicht mehr das Gefühl: Ich bin ganz alleine und keiner ist für mich da. Alle haben uns gesagt: Das hilft uns! Weiterhin haben wir gemerkt, dass unsere Website immer wichtiger wird. Gesprächspartner gehen vor dem ersten Kontakt oder sogar während sie mit uns telefonieren auf die Seite, um sich zu informieren. Das wollen wir auch weiter ausbauen.
Woran würden sie gerne in Zukunft weiter arbeiten?
Wir haben die Idee Paten für die Sonnenkinder zu gewinnen. Wann und wie wissen wir noch nicht, aber man muss ja Ziele haben. Zum Beispiel haben die Georgspfadfinder Neunkirchen-Wahlscheid für die Sonnenkinder durch ein Fest 600 Euro Spenden gesammelt. Als nächstes würden sie gerne mit den Sonnenkindern auf der Sieg Kanu fahren und können auch ein bis zwei Patenschaften übernehmen. Aber vielleicht gibt es ja noch mehr Menschen, die bereit sind sich dieser schwierigen Situation hinzugeben und die solche Aufgaben übernehmen; die sensibel mit dieser familiären Situation umzugehen wissen und auch Zeit haben. Das wünschen wir uns sehr.
Informationen und Neuigkeiten zu den Projekten des „Hilfe für psychisch Kranke e.V. Bonn / Rhein Sieg“ sowie Broschüren zum Download finden sich unter www.hfpk.de. Die Broschüre „‘Seele trifft auf Schule‘ Psychische Erkrankungen bei jungen Menschen – Ein Informationsprojekt für Schulen“ kann bei der Geschäftsstelle bestellt werden.
Wer auf ebenfalls auf einen Preis für herausragenden Einsatz im Bereich Nachhaltigkeit hoffen möchte, der kann sich noch bis 31. Oktober für die diesjährige Runde des Wettbewerbs von NRW denkt nach(haltig) bewerben.
Tags: Beispielhaft, Kinder, Sozial, UNESCO, Wettbewerb