Hauptsache gemeinsam!

Zu recht früher Stunde finde ich mich an diesem Morgen in Alfter bei Bonn ein, um der dortigen Alanus Hochschule einen Besuch abzustatten. Mein Weg führt mich an Kartoffel- und Maisfeldern vorbei zum Campus II, wo vom 15.09.2012-23.09.2012 die „Ökonomisch-Philosophische Herbstakademie“ stattfinden soll, die auch ein Beitrag zu den BNE-Aktionstagen der Deutschen UNESCO-Kommission ist. Bereits am Eingangstor wird deutlich, dass diese Einrichtung nur wenig mit dem zu tun hat, was man gemeinhin erwartet, wenn man eine deutsche Universität betritt: Der Campus ist klein und überschaubar, umgeben von Wiesen, kleinen Gärten und Rauminstallationen, die Gebäude folgen einem klaren, minimalistischen Design und sind fast durchweg mit Holz verkleidet.
Die Unterschiede zur allgegenwärtigen Massenuniversität, die bereits an der Außengestaltung ablesbar werden, setzen sich auch auf inhaltlicher Ebene fort: Bei der „Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft“ handelt es sich um eine staatlich anerkannte Kunsthochschule in freier Trägerschaft, die großen Wert auf die Ganzheitlichkeit und Interdisziplinarität ihrer Bildungsangebote legt – deshalb auch der Name, der auf die Bildungsidee des Scholastikers Alanus ab Insulis zurückgeht.
Aus diesen Gründen müssen z.B. alle StudentInnen neben ihrem Fachstudium auch ein Studium Generale absolvieren, das Themen aus den Bereichen Philosophie, Ästhetik, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Pädagogik und Sozialwissenschaften abdeckt. In Fächern wie BWL wird außerdem eine regelmäßige, auch praktische Auseinandersetzung mit den künstlerischen Fächern gefordert und gefördert. Ebenso wichtig wie der ganzheitliche Bildungsauftrag ist zudem der Praxisbezug. Deshalb verbringen die Studierenden der pädagogischen, therapeutischen oder wirtschaftlichen Fächer einen Teil ihres Studiums in Schulen, Kliniken oder Unternehmen, während in der künstlerischen Ausbildung regelmäßige Ausstellungen und Aufführungen zum festen Programm gehören.

Eine Frage der Gestaltung

Diesen Prinzipien hat sich auch die Herbstakademie verschrieben, die aus interdisziplinärer Perspektive nach „Ökonomien des Gemeinsamen“ forschen und fragen will – konkret kann man sich darunter z.B. jene „Commons“ vorstellen, denen Silke Helfrich und die Heinrich-Böll-Stiftung erst kürzlich einen umfangreichen Sammelband gewidmet haben. Ich bin pünktlich zum Beginn eines neuen Blocks eingetroffen, in dem es darum gehen soll, „der Kritik der Ökonomie eine Stimme [zu] geben“.
Einen ersten Versuch in diese Richtung unternimmt Prof. Dr. Silja Graupe, Juniorprofessorin für Philosophie und Wirtschaft an der Alanus Hochschule, die mit einer Zusammenfassung der bisherigen Arbeit einsetzt: Darin macht sie deutlich, dass im Zentrum der ökonomisch-philosophischen Überlegungen der vergangenen drei Tage die Frage nach der „menschlichen Geschichte hinter den Dingen“ stand, die ihrer Meinung nach viel zu oft aus dem Blick gerate, insbesondere – aber nicht nur – wenn es um ökonomische Themen geht.
Damit zusammenhängend beschäftige die TeilnehmerInnen vor allem das Problem der Gestaltung und Gestaltbarkeit von Ich und Welt. Dabei standen sich in den Beiträgen und Diskussionen der letzten Tage in den Augen Graupes zwei Denkfiguren und Konzepte von Subjektivität diametral gegenüber: Zum einen die Vorstellung eines immer schon gegebenen, unveränderlichen und unzugänglichen Ich-Kerns, der sich nicht (gesellschaftlich) gestalten lässt – eine Position, wie sie z.B. der nach wie vor weit verbreitete Gen-Determinismus propagiert. Dem gegenüber stehen Konzepte, die das Subjekt als sowohl gestaltet als auch gestaltend begreifen. Ein solches Selbst ist nicht einfach gegeben, sondern konstituiert sich überhaupt erst in Relation zum Anderen und ist deshalb wandelbar. Diese Konzeptionen des Selbst beeinflussen auch den ökonomischen Blick, denn nur das relationale Subjekt ermöglicht nach Graupe eine Ökonomie, die das „je schon“ menschlicher Beziehungsgefüge mit einbezieht und den Menschen also – im doppelten Sinne – als Gemeinschaftswesen begreift: Denn dieser Mensch konstituiert sich einerseits durch gemeinschaftliche Beziehungen, die er zugleich auch prägt und mitgestaltet, sodass (nur) in der Begegnung mit dem Anderen so etwas wie Veränderung möglich wird und ist.
Vor diesem Hintergrund drängte sich in der Akademie immer wieder die Frage auf, welche Rolle Regeln und Gesetze innerhalb dieses Miteinanders spielen. Auch hier trifft Graupe eine Unterscheidung zwischen jenen Gesetzten, die wir als äußerlich auferlegt und abstrakt wahrnehmen und den Regeln, die aus einer Gemeinschaft selbst kommen können. Jene sind eine Grundvoraussetzung der „Ökonomien des Gemeinsamen“ oder „Commons“, wie auch Stefan Meretz im oben erwähnten Band von Helfrich und der Heinrich-Böll-Stiftung anmerkt: „Grundprinzip der Commons ist, dass Menschen, die Commons machen, sich die Regeln selber geben.“ (Meretz, Stefan: Ubuntu-Philosophie, in: Helfrich, Silke/ Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Commons, S. 59).

Was bedeutet es nun vor diesem Hintergrund, „der Kritik der Ökonomie eine Stimme [zu] geben“? Nach Meinung Graupes geht es darum, eben jene Menschlichkeit und jenes „je schon“ in die ökonomischen Lehrbuchwissenschaften einzuführen, die dort von jeher systematisch ausgeklammert werden. Es gehe darum, gegen mechanistische und anonymisierte Konzepte des Marktes  und die scheinbare Unumstößlichkeit seiner Regeln vorzugehen und stattdessen nach Möglichkeiten der Gestaltung und Gestaltbarkeit zu fragen. Denn nur so lassen sich jene „neue[n] Orte ökonomischer Bildung“ aufspüren, nach denen die Akademie nach eigener Aussagen suchen möchte.

Eine Frage der Gemeinschaft

Wie diese Orte aussehen könnten, schaue ich mir im Anschluss in jenen Foren an, die auf den Vortrag von Frau Prof. Dr. Graupe folgen. Die Studenten sind dort angehalten, in kleineren Gruppen  intensiv über einige Leitthemen der Akademie zu diskutieren. Ich entscheide mich für eine Runde zum Thema „Ökonomien des Gemeinsamen. Praktische Beispiele“ und merke schnell, dass der Praxisbezug hier auf zweifache Weise erfolgt: Zum einen werden existierende Beispiel für „Commons“ vorgestellt, analysiert und diskutiert, andererseits funktioniert aber auch die Gruppe selbst nach dem Prinzip des „Commoning“, denn sie muss ihre Regeln beständig aushandeln und einen Gemeinschaftssinn erarbeiten.
An diesem Tag werden das Mietshäuser Syndikat und die Wohninitiative SUSI (= Selbstorganisierte unabhängige Siedlungsinitiative) aus Freiburg als praktisches Beispiel für „Commons“ vorgestellt.
Das Mietshäuser Syndikat ist ein Zusammenschluss unabhängiger Wohnprojekte, der vor allem das Ziel verfolgt, Immobilienspekulation zu verhindern, bezahlbaren Wohnraum sicherzustellen und selbstorganisierte Wohnformen zu fördern. Zu diesem Zweck können Häuservereine bei Erwerb einer Immobilie einen Gesellschaftervertrag mit dem Syndikat abschließen, der gemeinsame Stimmrechte festlegt. Die Häuservereine sichern sich so beratende und konkrete Unterstützung bei der Finanzierung und Verwaltung, während gleichzeitig durch die Gesellschafterbeteiligung des Syndikats sicher gestellt wird, dass der gemeinschaftliche Charakter des Wohnprojekts auch im Falle des Auszugs einiger oder aller Mitglieder des Vereins erhalten bleibt. Denn Entscheidungen über Umwandlung und Verkauf des Hauses können nur mit Zustimmung des Syndikats getroffen werden, alle anderen Entscheidungen hingegen trifft die Hausgemeinschaft autonom. Ein geringer Prozentsatz der Jahreskaltmiete der einzelnen Häuserprojekte fließt überdies in einen „Solidarfonds“, über den schwächere Projekte bezuschusst werden können. Momentan unterhält das Syndikat Gesellschafterverträge mit 75 Projekten in ganz Deutschland, eines davon ist SUSI.
SUSI geht auf eine studentische Initiative zurück, die der Wohnungsknappheit und Mietsteigerung im Freiburg der 1990er-Jahre durch den Ankauf ehemaliger Kasernen begegnen wollte. Im Laufe der Jahre entstand so ein selbstverwaltetes Wohnprojekt, in dem sich die MieterInnen in Gremien und Arbeitsgruppen organisieren und zudem Werkstätten, Sportplätze oder auch ein Café unterhalten. Was zuerst einmal nach gelebter Utopie klingt, bringt jedoch auch Probleme mit sich, denn auch bei SUSI nimmt nicht jede(r) den Gemeinschaftsgedanken ernst, was sich zum Beispiel an den nur spärlich besuchten wöchentlichen Projektkonferenzen zeigt.
An eben diesem Punkt entfacht sich in der Folge eine Diskussion und Analyse, die sich um den Zusammenhang von „Commons“ und Gemeinschaft dreht: Setzen „Commons“ eine funktionierende Gemeinschaft voraus oder konstituieren sie diese überhaupt erst? Wie lässt sich so etwas wie Gemeinschaft erzeugen und woran scheitern solche Versuche? Welche Rolle spielen feste Rituale? Und wie lassen sich Neuankömmlinge erfolgreich in eine Gemeinschaft integrieren? Dass es sich bei alledem nicht nur um graue Theorie handelt, erfährt die Gruppe in der Folge auch am eigenen Leib, denn im selbstverordneten praktischen Teil wird der Prozess der Gemeinschaftsbildung über gemeinsames Singen nachvollzogen. Diese ungewöhnliche Übung verdeutlicht noch einmal jene Erkenntnis, die sich bereits in der Diskussion abzeichnete: Eine funktionierende Gemeinschaft ist niemals einfach gegeben, sie muss immer wieder neu und hart erarbeitet werden.

Eine Frage des Geldes

Eine erneute Hinwendung zur Theorie erfolgt nach dem Mittagessen. Der Ökonom, Wirtschaftsethiker und Philosoph Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck lädt zu einem Vortrag zum Thema  „Die heimliche Herrschaft des Geldes. Wie das Denken in Geld Gemeinschaft zerstört“ ein. Es folgt ein Entwurf zu einer Phänomenologie des Geldes, eine Beschreibung der (Alltags-)Erscheinung Geld also.
Brodbeck zeigt in seinem Vortrag auf, dass Geld(-verkehr) im Wesentlichen auf einer zentralen Ressource fußt – dem Vertrauen: Geld funktioniert, weil ein Vertrauen in seinen Wert vorhanden ist, der wiederum auf diesem Vertrauen basiert – ein „zirkuläres Phänomen“ also, wie Brodbeck anmerkt. Der jeweilige Wert des Geldes – 5, 10 oder 20 Euro –  ist dabei nicht natürlich gegeben, sondern basiert auf einer gesamtgesellschaftlichen Vereinbarung, die wir mit jedem Geldverkehr neu bestätigen. Durch dieses Vertrauen in das Medium Geld wird eine Verbindung zwischen Menschen als Geld- und Warenbesitzern geschaffen, weshalb Geld in den Augen Brodbecks als ein „Modus unserer Vergesellschaftung“ funktioniert – es  stiftet Verbindung, durch Geld beziehen wir uns aufeinander. Zugleich funktioniert Geld als „Marktzutrittsschranke“, so Brodbeck, und reguliert also den Grad unserer Teilhabe, nicht nur an Konsum-, sondern auch an gesamtgesellschaftlichen Vorgängen. Wenn ich kein Geld habe, sind nicht nur meine Kaufoptionen, sondern auch meine sozialen Möglichkeiten eingeschränkt. Diese Schranke bildet nach Brodbeck den wesentlichen Motivationsfaktor hinter unserem Gelderwerb; wir verdienen Geld also vornehmlich, um unsere Bedürfnisse befriedigen und teilhaben zu können.
Neben dieses zweckorientierte Geldstreben tritt im Kapitalismus jedoch auch Streben nach Geld um seiner selbst willen, so Brodbeck, das auf Gewinn- und in letzter Konsequenz auf Renditemaximierung abzielt, womit der homo oeconomicus in die Welt tritt. An eben dieser These entzündet sich im Folgenden eine lebhafte Diskussion, die sich um die Frage dreht, inwieweit der Umgang mit Geld tatsächlich immer in maßloses Gewinnstreben und Renditemaximierung münden muss. Ist der Mensch natürlicherweise ein homo oeconomicus? Oder handelt es sich bei scheinbaren anthropologischen Konstanten wie Gewinn-  und  Wachstumsstreben um Versatzstücke einer Ideologie, mittels derer das kapitalistische System sein eigenes Fortbestehen sichert? Zumindest für Silke Helfrich ist die kapitalistische Denkweise dem Menschengeschlecht nicht in die Wiege gelegt, weshalb sie für ein neues Denken „jenseits von Markt und Staat“ in der „Sprache der Commons“ plädiert. (Helfrich, Silke: Commons als transformative Kraft. Zur Einführung, in: Dies./Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Commons)

Eine Frage des Bewusstseins

Im Anschluss an diesen intensiven Vortrag werden die sogenannten „Spiel-Räume“ eröffnet, die nach dem Konzept der „open spaces“ nach den Wünschen und Interessen der TeilnehmerInnen gestaltet werden können: Neben Diskussionsgruppen zum Right Livelihood Award oder dem Thema „Schenken“ gibt es deshalb auch Angebote für buddhistische Meditation oder Yoga. Ich entscheide mich für jene Gruppe, die gemeinsam mit Prof. Dr. Brodbeck an offenen Fragen weiterarbeiten möchte.
In dem kleinen Seminarraum kommt die Diskussion ziemlich schnell auf das Thema „bedingungsloses Grundeinkommen“, das innerhalb der Gruppe auf ein gemischtes Echo trifft. Dennoch sind sich alle Beteiligten einig, dass im Endeffekt nicht die mehr oder weniger konkreten Verteilungsfragen, sondern der Bewusstseinswandel im Zentrum aller Bemühungen stehen sollte, womit eine Brücke zur Bildung für nachhaltige Entwicklung geschlagen ist: Es gilt, durch eine entsprechende Bildung die herrschende Konsumfixierung zu durchbrechen und die eigenen Bedürfnisse kritisch zu hinterfragen, und das bereits im Kindesalter. Zu diesem Zweck schlägt Brodbeck vor, dass „Glückstechniken“ zum Inventar einer jeden Bildungsinstitution gehören sollten, denn inneres Glück sei ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer Immunisierung gegenüber der  unablässigen Bedürfnisproduktion und Konsumaufforderung im Kapitalismus.

Eine Frage der Bewegung

Abgerundet wird dieser inhalts- und arbeitsreiche Tag auf ungewöhnliche Weise: Unter dem Titel „Choreographien des Gemeinsamen“ sind alle TeilnehmerInnen dazu eingeladen, an einer halbstündigen Eurythmie-Übung teilzunehmen, die vor allem das Ziel verfolgt, ein bewusstes Gefühl für den Raum, sich Selbst und die möglichen Verbindungen zu den Anderen zu entwickeln. Wie man das nun finden mag, ist natürlich jedem selbst überlassen – im Kontext dieser Veranstaltung machen die Choreographien jedoch insofern Sinn, als es auch hier darum geht, durch Tanz und Bewegung so etwas wie Gemeinschaft zu erzeugen und erfahrbar zu machen.

Damit geht am frühen Abend ein Tag zu Ende, der viel Neues und Unerwartetes mit sich gebracht hat und das Thema „Ökonomien des Gemeinsamen“ auf überraschende und vor allem vielfältige Weise zu beleuchten vermochte: theoretisch, praktisch und am Ende sogar körperlich. Damit bietet die Alanus Hochschule einen sicherlich einzigartigen Zugang zum Thema Ökonomie und Bildung für nachhaltige Entwicklung, durch den ich und die TeilnehmerInnen einiges über Wirtschaft, aber noch viel mehr über das Funktionieren und die Wichtigkeit von Gemeinschaften lernen konnte(n).

Kontakt:

Alanus Hochschule gGmbH
Villestraße 3| D-53347 Alfter bei Bonn
Tel. (0 22 22) 93 21-0
Fax (0 22 22) 93 21-21
E-mail: info@alanus.edu Internet: www.alanus.edu

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