(Film)Bildung für nachhaltige Entwicklung
Kein Beitrag zu den Aktionstagen, wenn auch zeitlich passend, aber sicher eine Art Bildungsmaßnahme für nachhaltige Entwicklung ist CineScience. In dieser monatlichen Reihe diskutieren Forschende des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen anhand von Filmen unterschiedlicher Genres soziale Phänomene und werfen einen wissenschaftlichen Blick auf alltägliche und weniger alltägliche Aspekte menschlichen Zusammenlebens. Immer geht es darum, zu verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie eben handeln. CineScience ist eine Veranstaltungsreihe vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen und dem Filmstudio Glückauf, weshalb die Filme auch im ältesten Filmtheater des Ruhrgebietes gezeigt und später diskutiert werden.Am 20. September haben die Sozialwissenschaftler Bernd Sommer und Sebastian Wessels anhand des Dokumentarfilms „Recipes for Desaster“ (2008) nach Antworten gesucht, warum Umweltbewusstsein und umweltgerechtes handeln so stark auseinanderklaffen: Die Mehrheit der Bevölkerung bekennt sich zum Umweltschutz, der Umsatz von Bio-Produkten steigt, Baden-Württemberg hat einen grünen Ministerpräsidenten. Aber gleichzeitig erreichte der Energieverbrauch im vergangenen Jahr Rekordniveau, während immer größere Mengen Lebensmittel weggeworfen wurden und wohl werden, so Bernd Sommer in seiner Einführung. (Man denke nur an den gerade angelaufenen Film „Taste the Waste“.) Wie kann es also sein, dass bei steigendem Umweltbewusstsein gleichzeitig fast alle Verhaltens-Trends entgegengesetzt verlaufen?
Trailer von „Recipes for Desaster“ auf YouTube:
Der erste Film – „Anleitung zur Katastrophe“, so der ARTE-Titel bei der TV-Erstaustrahlung vom Dezember 2009 – kommt wie eine filmische Fortsetzung des populären Buchs „Fast Nackt – Mein abenteuerlicher Versuch ethisch korrekt zu leben“ daher, einem Selbstversuch zum umweltgerechten Verhalten seitens des Guardian-Redakteurs Leo Hickman (Siehe hierzu ausführlicher den Blogbeitrag „Aloha LOHA! Nachhaltig im Alltag handeln“). In „Recipes for Desaster“ unternimmt Familie Webster den Versuch, ein Jahr „Öl-Diät“ zu halten. Sie verzichten weitgehend auf Produkte und Aktivitäten, die auf dem Verbrauch von Erdöl beruhen, wie etwa Plastikverpackungen im Supermarkt. Gefilmt wird sie dabei vom Dokumentarfilmer John Webster, dem Familienvater. Er zeigt die positiven und die negativen Erfahrungen mit der selbst auferlegten Öl-Diät: Die Ehe der Websters nimmt nicht unerheblichen Schaden, die Söhne sind von wechselnder Begeisterung. Gleichzeitig ergibt sich mehr gemeinsame Zeit, auch für die Kommunikation miteinander. Heraus kommt eine CO²-Reduktion für Umwelt und eine „human interest story“ in sieben Kapiteln für das Publikum (gezeigt wurde eine Kurzfassung).
„Kaufen für die Müllhalde“ auf YouTube:
Keine „human interest story“ in sieben Kapiteln war der zweite Hauptfilm des Abends, der sich mit der “geplanten Obsoleszenz” heutiger Konsumgüter auseinandersetzte: Egal ob Computer, Drucker oder Mobiltelefon – bei den meisten dieser Produkte, die nicht weniger als die Hardware der Mediengesellschaft ausmachen, ist das Abnutzungsdatum und damit der Exitus bereits Teil des Produktdesigns. Warum? Die Lebensdauer wird bewusst verkürzt, um den Handel zu beflügeln, den Konsum und damit letztlich die Produktion zu steigern. In „Kaufen für die Müllhalde“ (franz. Titel: “Prêt-à-jeter”, Frankreich 2010) erzählt die Dokumentar-Filmemacherin Cosima Dannoritzer die Geschichte von der geplanten Vergänglichkeit. Sie zeichnet die Entwicklung seit den 20er Jahren nach, die schließlich in den 50er Jahren in die Entstehung der modernen Konsum- und Wachstumsgesellschaft mündet. Im Vordergrund standen nicht der Selbstversuch, die alltäglichen Möglichkeiten und Handlungsspielräume sowie die individualpsycholgische Ebene, wie im ersten Hauptfilm des Abends – hier ging es um die strukturellen Bedingungen umweltgerechten Verhaltens.
Abgerundet wurde der Abend durch zwei weitere DEFA-Trickfilme aus den 80ern zur Umwelterziehung und die Möglichkeit zur Diskussion mit den beiden Sozialwissenschaftlern Bernd Sommer und Sebastian Wessels – über die Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und Verhalten, mentale und soziokulturelle Barrieren, aber auch ökonomische Interessen, die nachhaltigen Lebensstilen entgegenstehen: Lernort Kino.