Auf der Flucht! Veranstaltung im Grimme-Institut

Gerlach_Ansprache

Volles Haus im Grimme: Direktorin Dr. Frauke Gerlach begrüßt.

Nahezu täglich erreichen uns in den Medien Bilder von Menschen, die auf der Flucht sind oder als Flüchtlinge in Deutschland ankommen. Doku-Formate liefern beispielsweise Eindrücke aus Camps in Fernost, in denen Menschen unter prekären hygienischen Zuständen leben müssen, und die Tageschau im Ersten zeigt immer neue Bilder von übervollen Flüchtlingsheimen bundesweit. Es gibt konkrete Zahlen, wie viele Menschen täglich nach Deutschland kommen. Aber wie konkret, richtig oder vollständig, sind die Bilder, die dazu geliefert werden?

In ihrer Begrüßung zum Diskussionsabend im gut gefüllten Grimme-Institut am 26.11. machte die Grimme-Direktorin Dr. Frauke Gerlach deutlich: „Diese Bilder stehen für eine der zentralen sozialpolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Sie stehen für die dramatische Lebenssituation von abertausenden Menschen, die sich auf die Flucht aus ihrer Heimat nach Europa begeben haben. Was wir über diese Menschen wissen, das erfahren wir zumeist nur aus den Medien, aus Fernsehen, Internet und Zeitung.“ So ergab sich auch das Ziel der Veranstaltung „Auf der Flucht! Mediale Dramatisierung und die Bilder in unseren Köpfen“, die fragen wollte: Wie entstehen solche medialen Bilder? Was bewirken sie in unseren Köpfen und wie beeinflussen sie unser Verhältnis zur Wirklichkeit der Flüchtenden?

Mediale Dramatisierung und die Bilder in unseren Köpfen

Nach der Begrüßung versuchte Omar Ayobi, Designer und Mediengestalter aus Münster, in einer Einführungspräsentation zu zeigen, wie Bildauswahl und Perspektiven unsere Wahrnehmung prägen können. Er war selbst vor fast 20 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet und hat seine Erfahrungen in einer „Graphic Novel“ verarbeitet sowie in einem animierten Film im Stile von „…in plain english“.

Omar Ayobi und "Die Macht der Bilder".

Omar Ayobi und „Die Macht der Bilder“.

An der nachfolgenden Podiumsdiskussion, die von Aycha Riffi, Leiterin der Grimme-Akademie, moderiert wurde, nahmen außerdem teil: Norbert Hahn, der als WDR-Redakteur von „die story“ viele Beiträge über Flucht und Flüchtige verantwortet, Dr. Marion Lillig, die sich als Soziologin u.a. mit Flucht und Identität von Flüchtlingsfrauen befasst hat und sich nun seit Jahren im Arbeitsmarktintegrationsprogramm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge im Kreis Recklinghausen um die alltäglichen Probleme von Flüchtlingen kümmert, sowie Florian Soßna, Schüler im Albert Schweitzer Geschwister Scholl Gymnasium Marl, aktiv in der Initiative „J!M“ (Jugend in Marl) und ausgezeichnet für eine Facharbeit über syrische Flüchtlinge. Alle hatten eigene (Film-)Bilder von Menschen auf der Flucht mitgebracht, die ganz eigenen Facetten der Flüchtlingsthematik beleuchteten – bis hin zur Frage: Wann ist man nicht mehr auf der Flucht?

Podium_Diskussion

V.l.n.r.: Norbert Hahn, der als WDR-Redakteur, Dr. Marion Lillig, Caritas Agentur für Beschäftigung und Qualifizierung, Moderatorin Aycha Riffi, Grimme-Akademie, sowie Florian Soßna, Schüler im Albert Schweitzer Geschwister Scholl Gymnasium Marl, aktiv in der Initiative „J!M“ („Jugend in Marl“).

„Mir fällt es schwer, die Bilder noch zu sehen“, erklärte Marion Lillig, ist sie doch täglich mit schwierigen Schicksalen und den Problemen vieler Flüchtlinge konfrontiert. Der Alltag der Menschen vor Ort würde allzu häufig unter den Tisch fallen und statt dessen angstauslösende Bilder gezeigt – Flüchtlingsmassen, dicht gedrängt auf überfüllten Booten, fest geklammert an meterhohe Zäune, eingepfercht in Flüchtlingscamps. Auf der einen Seite sei es daher gut, deren individuelle Geschichte zum Thema zu machen. „Auf der anderen Seite sind die Menschen durch ihre Flucht enorm belastet“, weshalb das Wiedererleben für die mediale Berichterstattung – im Gespräch mit Journalistinnen und Journalisten – für viele eine Zumutung und eine zusätzliche Belastung darstelle. Und nie wisse man: „Was ist ein Auslöser?“, so die Soziologin. Sie appellierte daher an die Sensibilität der Journalisten und ihre Verantwortung für die Interviewpartner.

Marion Lillig hatte einen Einminüter mitgebracht, der in Recklinghausen aufgenommen wurde – im Rahmen des Unicef-Projekts „one minute junior“.

WDR-Redakteur Hahn will diese Verantwortung gerne annehmen, unterstreicht aber auch: „Wir müssen die Menschen – auf der Flucht – zeigen; ihren Geschichten und Problemen ein Gesicht geben.“ Dabei müsse jedem klar sein: „Bilder sind immer eine Auswahl, sie sind nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit. Und mit dieser Auswahl dürfen wir nicht verschweigen, dass auch andere Ausschnitte der Wirklichkeit möglich sind.“ Die Macht der Bilder sei groß, weshalb sie in verantwortungsvolle Hände gehören – zum Beispiel in die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er freut sich, für „die story“ Geschichten komplexer aufbereiten zu können: „Die Tageschau hat eine Chronistenpflicht, Beiträge sind hier zeitlich stark limitiert. „die story“ will und kann Geschichten über eine Dreiviertelstunde erzählen“, dass lasse mehr Raum für Emotionen und auch mal die kleine Geschichte am Rande: „In 45 Minuten komme ich den Menschen einfach näher“, so Hahn.

Schüler Florian Soßna präsentierte sich demgegenüber „als Kind des neuen Zeitalters“, dessen Bilder von Flüchtlingen aus dem Internet stammen – in seinem Fall der Flüchtlingssturm auf den Zaun rund um die spanischen Enklave Melilla, welcher Europa von Afrika trennt. Wie groß müsse deren Not sein, wenn sie diesen Wagnis auf sich nähmen, frage er sich und erläuterte seine Strategien für den Umgang mit Netzbildern ungeklärter Quelle: Tauchen sie mehrfach auf, könne man ihnen Authentizität unterstellen – bis hin zu der Möglichkeit mit den Urhebern in Kontakt zu treten.

Abgerundet wurde der Abend durch Erzählungen über eigene Fluchterfahrungen von Schülern des nahe gelegenen Hans-Böckler-Berufskollegs. Hier blieb die Medialität außen vor, das pure Erleben trat in den Vordergrund.

Schülerinnen und Schüler des nahe gelegenen Hans-Böckler-Berufskollegs (hbbk).

Schülerinnen und Schüler des nahe gelegenen Hans-Böckler-Berufskollegs (hbbk).

Hintergrund

Die Veranstaltung erfolgte in Kooperation mit dem 14. „Abrahamsfest“ in Marl, das es seit Herbst 2001 gibt. Unter dem diesjährigen Generalthema „Medien in digitalen Zeiten – Wissen und Gewissen“ widmet sich das 14. „Abrahamsfest“ in einer Fülle von Veranstaltungen und Aktionen den unterschiedlichen Facetten der Frage: Was machen mediale Bilder mit uns? Wie schaffen wir unsere eigenen Bilder? Veranstalter ist die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft Marl in Zusammenarbeit mit den Kirchen und Moscheen in Marl, mit der Jüdischen Kultusgemeinde Kreis RE, dem Integrationsrat Marl und der Stadt Marl. Hinzu kommt von Jahr zu Jahr ein wachsender Kreis thematischer Kooperationspartner lokaler und regionaler Art. Und neuerdings auch der Interkulturelle Rat in Deutschland (Sitz Darmstadt).

 

 

 

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