„Fair ist mehr“ – Auftaktveranstaltung zur Bonner Fairen Woche im Alten Rathaus
Fairer Handel ist nicht nur nachhaltig sondern rechnet sich auch wirtschaftlich. Jede Organisation und jeder Einzelne kann durch sein Konsumverhalten mehr verändern, als man gemeinhin für möglich hält. Fairer Handel bereichert das Stadtbild und steigert das individuelle Wohlbefinden. Das sind die zentralen Ergebnisse der Auftaktveranstaltung zur Bonner Fairen Woche im Alten Rathaus am 16. September 2011, die im Rahmen der bundesweiten „Fairen Woche“ zum sechsten Mal stattfand.
Eingeladen hatte Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch. Neben einem zahlreichen Publikum waren der Einladung auch Vertreter von Nichtregierungs-Organisationen, kirchlichen Organisationen, regionalen Unternehmen und der Stadt Bonn gefolgt, die in zwei spannenden Gesprächsrunden jeweils aus ihrer Sicht ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorstellten, was Fairer Handel bewirken kann und in der Konsequenz bedeutet. Moderiert wurde die Veranstaltung von Hartmut Fiebig, Fotojournalist und früherer Fairtrade-Auditor, der das Publikum auf eine beeindruckende multimediale Afrika-Reise mitnahm.
In seiner Eröffnungsrede erläuterte Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, was die Stadt Bonn mit ihrem Programm zur bundesweiten „Fairen Woche“ erreichen will. Die Bonner Faire Woche möchte faire Initiativen, Geschäftsmodelle und Projekte regionaler Handelsunternehmen einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen, ihre Erfolge dokumentieren und sie untereinander vernetzen. Zu diesem Zweck informiert die Stadt Bonn in einer Broschüre mit dem Titel „Fair einkaufen in Bonn“ Verbraucherinnen und Verbraucher über das vielfältige Angebot von fair gehandelten Produkten in Bonn und zeigt, wie fair gehandelte Produkte zu erkennen sind und wo sie erworben werden können. In diesem Jahr beteiligen sich über 50 Bonner Akteure mit einer Vielzahl von Angeboten.
Mit ihrem Programm versucht die Stadt Bonn ihre Bürgerinnen und Bürger dazu zu bewegen, über ihr Konsumverhalten nachzudenken und den Produkten mehr Achtung und Wertschätzung entgegen zu bringen. Nur wer das tue, respektiere auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Produzenten und ermögliche ihnen ein würdevolles Leben, so Nimptsch. Ohne die Mitwirkung der Bonner Bürger gehe es eben nicht.
Die Stadt Bonn geht selbst mit gutem Beispiel voran. Bonn ist eine von 40 Fairtrade Towns in Deutschland und über 1.000 Fair Trade Towns weltweit. Im Bereich der nachhaltigen Beschaffung hat Bonn als eine der ersten Städte bereits 2004 einen Ratsbeschluss gegen die Beschaffung von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit gefasst. In Bonn sind 150 Nichtregierungs-Organisationen aus den Bereichen Umwelt und Entwicklung ansässig und 18 UN-Einrichtungen, die sich das gemeinsame Motto „UNO in Bonn für nachhaltige Entwicklung weltweit“ gegeben haben. Darüber hinaus haben FLO ((Fair Trade Labelling Organization) und FLO-Cert ihren Sitz in Bonn. Die Stadt Bonn fördert den Fair-Trade-Gedanken durch das städtische Agenda-Büro. Nachhaltiges Wirtschaften und fairer Handel sind „eine Entscheidung des gesunden Menschenverstandes“, so Nimptsch.
Eine multimediale Afrika-Reise
Anschließend zeigte Hartmut Fiebig eine eindrucksvolle Fotogeschichte zum Thema „Africa inside. Tief in Afrika“. Er berichtete darüber, wie er als 21-Jähriger mit dem Fahrrad 18.620 km von Deutschland nach Kap Horn zurückgelegt und durch den Perspektivwechsel jede Menge Aha-Erlebnisse gesammelt hatte. Seitdem bereiste er den ostafrikanischen Raum (Uganda, Tansania, Kenia, Sansibar, Victoria-See) noch mehrere Male. In seinem Vortrag schilderte Fiebig seine gesammelten Eindrücke und untermalte sie mit Beispielen für die Zusammenhänge und Folgen des globalen Handels. Sein Fazit: unser unfassbar hoher Lebensstandard beruhe auf der Armut und dem Elend anderer. Die heutige Weltwirtschaft sei eine Tochter von Sklaverei und Kolonialismus und in ihren Auswirkungen noch verheerender als die kolonialen, meist privatwirtschaftlich organisierten Raubzüge des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel ostafrikanischer Blumenfarmen zeigte Fiebig, wie der faire Handel die Lebenssituation der Bauern vor Ort verbessern kann: dazu zählen nicht nur ein besseres Einkommen und die Einhaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen und Umweltschutzbestimmungen sondern auch die Gewährleistung der Koalitionsfreiheit (Gewerkschaften), die Errichtung von Schulen und Bildungszentren für die Blumenarbeiter und die Unterstützung mit Stipendien für die Hochschule.
Erste Gesprächsrunde
- Heinz Fuchs, Vorstandsvorsitzender des TransFair – Verein zur Förderung des Fairen Handels mit der „Dritten Welt“ e.V.
- Michael Marwede, Projektleiter/Senior Project Manager Entwicklungsbezogene Bildungsarbeit / Servicestelle Kommunen in der einen Welt
Heinz Fuchs gab einen Überblick über die bemerkenswerte Erfolgsgeschichte des Fair Trade Labels, das in Deutschland regelmäßig Wachstumsraten von über 20% erreicht. Im Jahr 2010 kauften die Bundesbürger Fairtrade-zertifizierte Produkte im Wert von rund 340 Millionen Euro. Der Umsatz aller fair gehandelten Produkte in Deutschland liegt bei 420 Mio. Euro. Fuchs betonte aber, dass diese Zahlen nicht darüber hinweg täuschen können, das jeder Deutsche etwa 4 Euro im Jahr für faire Produkte ausgibt und damit weniger als für Beruhigungsmittel. Die Idee zertifizierter Labels sei aber bisher auf den Handel beschränkt und beispielsweise im Dienstleistungssektor (Tourismus etc.) noch nicht angekommen.
Michael Marwede stellte die „Servicestelle Kommunen in der Einen Welt“ vor. Ihre Aufgabe liegt u. a. darin, die Kommunen beim Thema faire Beschaffung mit Informationsangeboten, Beratung und Vernetzung zu unterstützen. Von den rund 12.000 Gebietskörperschaften in Deutschland haben sich bisher 250 Kommunen u. a. dazu verpflichtet, keine Produkte aus Kinderarbeit einzukaufen. Die Kommunen haben seit 2003 die Möglichkeit, sich um den Titel „Hauptstadt des fairen Handels“ zu bewerben, eine Auszeichnung, die in der Vergangenheit bereits die Städte Dortmund, Düsseldorf und Marburg für ihr Engagement erhalten haben. Für Marwede geht der Weg zur wirtschaftlichen Nachhaltigkeit vor allem über die Wertschätzung der Produkte. Marwede betonte, dass die Idee des fairen Handels auch außerhalb Europas auf große Akzeptanz stoße, so etwa in Mexiko und Australien.
Zweite Gesprächsrunde
- Susanne Walia, Sprecherin der Steuerungsgruppe Fair Trade Town Bonn
- Michael Naundorf, Steinmetzmeister
- Stadtdechant Wilfried Schumacher
- Ute Hecker, Leiterin der Jugendherberge Bonn
- Thorsten Althaus und Markus Duas von Meyer Hosen AG, Vorstandsassisstenz und Qualitätsmanagement
- Christoph Bartscher, Stellvertretender Amtsleiter des zentralen Vergabeamtes der Stadt Bonn
- Brigitte Binder, Referentin Fairer Handel des evangelischen Entwicklungsdienstes.
Die zweite Gesprächsrunde machte deutlich, welchen Einfluss Organisationen und Individuen auf die nachhaltige Gestaltung des Handels ausüben können. So wies Brigitte Binder auf die riesige Einkaufsmacht der Kirchen hin, die in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber sind und etwa 60 bis 80 Mrd. Euro für die Beschaffung ausgeben. Von den etwa 15.000 evangelischen Kirchengemeinden in Deutschland organisieren bisher 150 ihre Beschaffung nachhaltig.
Ute Hecker zeigte, dass der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen sich auch wirtschaftlich rechnet. So spart die Jugendherberge Bonn durch den Verzicht auf Einwegprodukte jedes Jahr 75 bis 80.000 Verpackungen ein und damit bares Geld.
Die Meyer-Hosen AG, ein Familienunternehmen aus dem Oberbergischen Kreis, brachte im Herbst 2009 die erste Kollektion von Hosen aus fair gehandelter Baumwolle heraus. 2010 stammen bereits 10% der Hosen aus Fairtrade. Das Familienunternehmen hat sich 2008 einer ausführlichen unabhängigen Zertifizierung durch FLO-CERT unterzogen, ebenso die Vorlieferanten. Das FAIRTRADE–Siegel garantiert somit eine lückenlos faire Produktionskette und steht für die Prinzipien des fairen Handels. Eine aus fairem Handel stammende Hose ist darüber hinaus nicht viel teurer, wie eine aus konventioneller Produktion stammende Hose. Torsten Althaus und Markus Duas rechneten vor, das Kunden für eine faire Hose, die im Preissegment von 79,90 Euro zu haben ist, etwa 5 Euro mehr bezahlen müssten, also 84,90 Euro. Die Meyer-Hosen AG will den Anteil fair gehandelter Hosen in Zukunft noch steigern. Eine Wachstumsbremse ist allerdings der nachwachsende Rohstoff selbst: von den rund 25 Mio. Tonnen Baumwolle, die jedes Jahr auf den Markt geworfen werden, stammen nur 30.000 Tonnen aus Fairtrade.
Steinmetz Michael Naundorf aus Bonn-Beul beschrieb seine Motivation, Steine aus fairem Handel zu beziehen. Nach zwei Besuchen bei den Abbaugebieten und Produktionsstätten in Indien, wo er zum Teil groteske Arbeitsbedingungen vorgefunden hat (Arbeiter mit Schutzhelm, aber ohne Schuhe etc.), entschloss sich Naundorf für den sozialverträglichen Einkauf seines Materials. Denn bei Steinblöcken, die aus Indien oder China stammen, könne man nie ganz ausschließen, dass sie von Kindern gebrochen wurden. Deshalb verwendet er als Rohmaterial überwiegend europäische Natursteine bzw. Steine aus Ostdeutschland und bearbeitet sie bis zum fertigen Produkt in der eigenen Firma. So verfährt er mit etwa 95% der Auftragsarbeiten. Da Naundorf seinen Handwerksberuf als Steinmetz liebt, kauft er auch keine fertigen Produkte aus Indien oder China, obwohl diese seinen Umsatz und Gewinn nicht unerheblich steigern würden. Kunden, die Grabsteine oder Grabeinfassungen bei ihm bestellen, macht er auf die Möglichkeit aufmerksam, Steine aus nachhaltigem Handel zu verarbeiten. Etwa 80% der Kunden würden diese Alternative bevorzugen, der Rest entscheidet sich für die billigeren Produkte, bei denen die Herkunft nicht klar ist. Die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit hat seinen Preis: Umsatz und Gewinn reichen bei weitem nicht an den seiner Kollegen heran. Naundorf ist aber gerne bereit, auf etwas Wohlstand zugunsten seiner Arbeitszufriedenheit zu verzichten. Seine Motivation, Steine aus fairem Handel zu verarbeiten, entspringt also persönlichen Motiven. Dass diese auch nachhaltig sind, ist Zufall.
„Nichts muss bleiben, wie es ist“
Gleichsam als Motto des Abends wies Heinz Fuchs darauf hin, dass die globalen Marktmechanismen nicht gottgewollt sondern von Menschen gemacht sind: „Nichts muss bleiben, wie es ist“, d. h. jeder Einzelne kann durch sein Einkaufsverhalten Einfluss nehmen auf Produktionsbedingungen und –prozesse in Nah und Fern. Organisationen, Unternehmen, Kommunen und Kirchen können ihre geballte Einkaufsmacht dazu nutzen, mit Lieferanten und Produzenten Standards des Fairen Handels zu vereinbaren und umzusetzen. In der Konsequenz bedeutet Fairer Handel, die eigenen Bedürfnisse zu überdenken und auf ein Stück Wohlstand zu verzichten zugunsten unserer Lebenszufriedenheit und jener Menschen, die unseren unfassbar hohen Lebensstandard ermöglichen.
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