Jul 182014
 

Von Maria Roca Lizarazu und Lars Gräßer/ NRW denkt nach(haltig)

YoupartDavid Camerons Reaktion auf die Jugendunruhen in Großbritannien überrascht: statt einer Analyse zur sozialen Situation im Land kommt vom britischen Premier der Vorstoß zu einem Verbot des BlackBerry Messenger (BBM) – und von Facebook und Twitter dazu, wenn es denn irgendwie geht. Denn in den letzten Tagen wurde der BBM nicht mehr nur zur Verabredung von Dienstterminen und Freizeitspäßen genutzt, sondern auch als wirksames Mittel zur Koordination größerer Aufstände. Die Parallele zu den Protesten in der Arabischen Welt drängt sich auf und wurde denn auch von den Nachrichtendiensten gezogen.

Und in der Tat gelten Internet und soziale Netzwerke vor allem seit den Ereignissen im Frühling 2011 nicht mehr nur als Spaßmedien, sondern auch als Plattform für politische Aktion und Vernetzung. Die Geschichtsträchtigkeit der Ereignisse in Ägypten und Tunesien machte sich für viele Kommentatoren auch an den Umstand fest, dass die (meist jungen) Menschen in Ägypten ihre diktatorischen Regimes mit Hilfe von Facebook, Twitter und Blogs in die Knie zwangen. Dabei wurde häufig übersehen, dass für den erfolgreichen Umsturz in diesen Ländern weitaus mehr gefordert war als ein Post im Internet. Und dennoch ist die Tatsache nicht von der Hand zu weisen, dass soziale Netzwerke eine wichtige Rolle für die Vernetzung der Akteure gespielt haben – und weiterhin spielen: Nach wie vor gehen Blogger z.B. in Syrien oder im Iran hohe Risiken ein, um die Außenwelt über die Situation in ihren Ländern
auf dem Laufenden zu halten. Zu diesen Formen der nicht-staatlichen Partizipation über das Internet gesellen sich außerdem in letzter Zeit verstärkt staatliche Maßnahmen, die das Internet zum Medium der Bürgerbeteiligung machen wollen: Bürgerhaushalte, Online-Konsultationen und Vorstöße zum E-Voting.

Es stellt sich also die Frage, welche Rolle das Internet, soziale Netzwerke und andere Online-Plattformen für die Zukunft der politischen Teilhabe und Vernetzung spielen können. An die Idee einer solchen E-Partizipation oder E-Democracy sind ganz bestimmte Visionen geknüpft. Eine davon ist der Traum von einer möglichst breiten, zahlreiche soziale Schichten und Altergruppen umspannenden Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei häufig bei Jugendlichen, die als ebenso politikscheu wie inernetaffin gelten – durch die Nutzung digitaler Medien hofft man, dieser große Gruppe die politische Teilhabe schmackhafter machen zu können. Flankiert wird diese Vorstellung von der Idee einer Internationalisierung politischer Prozesse – im digitalen Zeitalter kann gewissermaßen jeder immerzu und überall teilnehmen, so zumindest die Theorie.

Und in der Tat gibt es aktuell einige Projekte in Deutschland und NRW, die versuchen, das Internet als Ort der politischen Partizipation und Bürgerbeteiligung zu stark zu machen:
Partizipation und Jugend
Ein Beispiel ist das Konzept des Strukturierten Dialogs, das als Teil der EUJugendstrategie die politische Beteiligung junger Menschen in Europa fördern will. Zu diesem Zweck werden Konferenzen veranstaltet, auf denen ein direkter und persönlicher Austausch zwischen Jugendlichen und Politik ermöglicht werden soll – den Jugendlichen soll das Gefühl vermittelt werden, dass sie tatsächlich etwas zu sagen haben in der europäischen und nationalen Politik. Im Juli dieses Jahres wurde im Rahmen des Strukturierten Dialogs auch mit einer Online-Konsultation gearbeitet. Jugendliche konnten im Internet Fragen zum Thema „Verbesserung des Jugendaustauschs mit Nachbarländern der EU“ beantworten, einen Überblick über die Ergebnisse kann man sich hier verschaffen. Das Hauptmedium ist jedoch im Strukturierten Dialog nach wie vor das mehr oder weniger persönliche Gespräch in den Konferenzen.

Einen anderen Ansatz verfolgt das Projekt Youthpart. Bereits im Untertitel wird deutlich, worum es in diesem Projekt geht: „ePartizipation: Internationaler und nationaler Erfahrungsaustausch sowie Modellentwicklung für mehr Jugendbeteiligung in der digitalen Gesellschaft“. Hier wird auf die Beteiligung durch das Internet gesetzt.
Im Zentrum steht zum einen die Erforschung und der Austausch im Blick auf bereits vorhandene E-Partizipationsprojekte und zum anderen die Entwicklung, Begleitung und Erprobung innovativer Konzepte auf diesem Gebiet. Jugendliche sollen so auf nationaler wie internationaler Ebene in die digitale Gesellschaft integriert und in ihren Partizipationsmöglichkeiten gestärkt werden. Youthpart wird sich aber nicht auf reine online – Partizipation begrenzen, verabredet sind bspw. punktuelle Kooperationen mit dem Politcamp e.V. und anderen, entscheidend ist jedoch ein tragender Anteil im Internet organisierter Teilhabe. Und: Youthpart ist international ausgerichtet – mit Rückkopplung zu nationalen Initiativen.

Partizipation regional
Online-KonsultationAktuell gibt es zudem auch in Nordrhein-Westfahlen zwei Beispiel für Partizipation im Internet, die mit dem Instrument der Online-Konsultation arbeiten. Im ersten Fall handelt es sich um die Online-Konsultation zur Eine-Welt-Strategie, die von der Landesregierung in NRW initiiert wurde.

Zum ersten Mal wird auf diesem Weg versucht, gemeinsam mit einer breiten Öffentlichkeit aus staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen sowie Bürgerinnen und Bürgern ein entwicklungspolitisches Konzept für das Land NRW zu erarbeiten. Konkret soll das über die Diskussion von Thesen und Leitfragen zu zehn wichtigen Themenfeldern der Entwicklungspolitik funktionieren, die von allen Interessierten eingesehen und kommentiert werden können. Außerdem wird zu jedem der Themen Infomaterial bereit gestellt. Am Ende des Konsultationsprozesses soll ein Strategie-Dokument stehen, dass unter Beachtung des Online-Austauschs wesentliche Leitlinien für die zukünftige Entwicklungspolitik des Landes NRW enthalten soll.

Bereits abgeschlossen ist die Online-Konsultation zum Medienpass NRW. Das Prinzip war dem der Eine-Welt-Strategie ähnlich: Über ein Webforum sollte einer breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit geboten werden, über das Thema Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen zu diskutieren. Auch hier wurden Interessierte über Thesen und Leitfragen dazu aufgefordert, sich einzumischen in die politische Strategieentwicklung und Entscheidungsfindung. Und das scheinbar mit Erfolg, wie die ersten Zahlen zum Projekt verdeutlichen: Insgesamt wurden bei der Konsultation mehr als 54.000 Seitenaufrufe registriert, es beteiligten sich 2.000 Bürgerinnen und Bürger, unter ihnen auch 700 Schülerinnen und Schüler, die über Schüler-VZ an dem Projekt mit diskutierten. Eine ausführlichere Auswertung soll es nach den Sommerferien geben.

Partizipation global
Online-Konsultationen gab es während der Proteste in der Arabischen Welt nicht – vielleicht kommen sie aber noch? Dennoch spielte das Internet und insbesondere die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter eine zentrale Rolle bei der Koordinierung der Proteste z.B. in Ägypten. Das macht auch eine Broschüre deutlich, die sich mit Youth Activism and Public Space in Egypt auseinandersetzt. Neben den sozialen Netzwerken tritt dabei auch das Graffiti als politische Aktionsform in den Blick. Ähnlich wie gezielte und über das Internet koordinierte Massenproteste sind Graffitt ein Weg, den öffentlichen Raum auf alternative und oder auch subversive Weise zu nutzen

Was bedeuten Internet und E-Partizipation also für die Zukunft der Politik? Sicherlich stellen sie eine sinnvolle Erweiterung des demokratischen Instrumentariums dar, besonders auf der kommunalen Ebene. Politisch Interessierte haben über das Internet und e-demokratische Formen die Chance zu einer direkteren Beteiligung und Diskussion; zudem können diese Medien sehr gut zu Zwecken der Information, Koordination und schnellen Organisation von Aktionen genutzt werden. Um es mit Franziska Heine zu sagen: Sie sorgen für Transparenz. „Das Unterdrückte, das Verborgene sichtbar zu machen, um eine Demokratie auf Augenhöhe zu ermöglichen, das ist das Potenzial digitaler Werkzeuge.“

Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Mausklick allein keine politische Aktion darstellt – e-demokratische Formen müssen nach wie vor von den klassischen politischen Aktionsformen begleitet werden, denn der Weg von der Online-Befragung hin zum handfesten politischen Handlungsziel und dessen Umsetzung ist nach wie vor weit. Es bleibt außerdem zu bezweifeln, dass durch die neuen Aktionsformen ungeahnte Potentiale der politischen Teilhabe aktiviert werden. Politikverdrossenheit und Desinteresse lassen sich auch durch den Einsatz neuer Medien nicht beseitigen, ebenso wenig wie sich ein demokratisches Bewusstsein durch sie hervorzaubern lässt. Wahrscheinlich werden also auch die neuen Formen der EPartizipation vornehmlich von denen genutzt, die auch vorher schon mehr oder weniger stark politisch involviert waren – ihnen allerdings eröffnet sich durch das Internet eine ganze Palette von erweiterten Möglichkeiten.

Und vielleicht gelingt es in Zukunft ja doch, über das Internet und passende politische Strategien das demokratische Interesse und die Bereitschaft zur Mitwirkung zu erweitern – Projekte wie„Youthpart“ lassen zumindest darauf hoffen.

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