Dr. Götz Nordbruch, Mitgründer des Berliner Vereins ufuq.de, im Gespräch über das Projekt „Was postest Du?“

„Genau so wie bei Streetwork wollen wir online dort hingehen, wo die Jugendlichen sowieso schon sind.“ Der Verein ufuq.de trägt das arabische Wort für Horizont im Namen und macht sich zur Aufgabe, Alternativen zu den aufgeregten Debatten über den Islam anzubieten, indem er mit Jugendlichen über Islamfeindlichkeit, Islamismus und den Islam selbst spricht. Dr. Götz Nordbruch ist Islamwissenschaftler und Mitgründer des Vereins ufuq.de. Im Gespräch mit NRW denkt nach(haltig) berichtet er von den Erfahrungen aus dem Projekt „Was postest Du?“, das junge Musliminnen und Muslime in sozialen Netzwerken anregt, über Fragen wie Islam, Rassismus und Islamismus in der deutschen Gesellschaft zu diskutieren und Möglichkeiten der Teilhabe und Mitgestaltung kennen zu lernen.

Dr. Götz Nordbruch ist Islamwissenschaftler und Mitgründer des Vereins ufuq.de (c) ufuq.de

Dr. Götz Nordbruch ist Islamwissenschaftler und Mitgründer des Vereins ufuq.de
(c) ufuq.de


Ein Schwerpunkt der Arbeit von ufuq.de ist es, verfestigten Vorstellungen und radikalen Botschaften zum Islam zu begegnen. Welche Zielgruppen sprechen Ihre Angebote an und mit welchen Methoden arbeiten Sie?
Wir haben verschiedene Arbeitsbereiche. Unsere Hauptzielgruppe sind junge Muslime, aber wir bieten auch Multiplikatoren-Fortbildungen an. Für unsere Arbeit mit Jugendlichen haben wir verschiedene Formate, z.B. Workshops in Schulen oder Jugendeinrichtungen. Um die Interessen der Jugendlichen aufzugreifen, die sich mit ihrer Religion beschäftigen, und um Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus zu thematisieren, stellen wir in diesen Veranstaltungen die Frage „Wie wollen wir leben?“. Es geht dann darum, wie Deutsch- und Muslimsein zusammen gedacht werden kann. Oft empfinden Jugendliche hier eine Leerstelle, weil das Thema Religion in der Schule immer nur am Rande behandelt wird. Viele haben hier Fragen, die vor allem den Umgang mit ihrem Glauben im Alltag betreffen.

Wir diskutieren auch über Erfahrungen mit Diskriminierung als Muslim(in) oder als Migrant(in). Dabei wird deutlich, dass Diskriminierungserfahrungen weit verbreitet sind. Unsere Aufgabe besteht dann darin Möglichkeiten aufzuzeigen, wie damit umgegangen werden kann. Uns ist aufgefallen: Junge Muslime haben Erfahrungen mit Diskriminierung und wissen aber kaum über rechtliche Grundlagen und Hilfsangebote bescheid, die ihnen die Möglichkeit geben, gegen Diskriminierung vor zu gehen. Dieses Nichtwissen verstärkt das Gefühl, alles sei schlimm. Viele Jugendliche wissen z.B. nicht, dass es das Antidiskriminierungsgesetz gibt und reagieren überrascht, wenn wir von Fällen berichten, in denen z.B. gegen Diskriminierung bei Vorstellungsgesprächen erfolgreich geklagt wurde. Wir sagen: Auf der einen Seite gibt es Diskriminierung im Alltag, aber auf der anderen Seite gibt es Möglichkeiten, die eigenen Interessen zu vertreten. Darin sehen wir einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung.

Indem wir Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, leisten wir auch Präventionsarbeit. Dieses „empowerment“ – den Jugendlichen klar zu machen, dass sie nicht alleine und vor allem selbst handelnde Subjekte sind – zielt auch darauf, einer Opferideologie vorzubeugen, die Salafisten instrumentalisieren, indem sie Betroffenen einfache „Problemlösungen“ versprechen und einen Konflikt zwischen Muslimen und Nichtmuslimen als unausweichlich beschreiben. Wir hingegen zeigen, dass es auch im rechtsstaatlichen Rahmen Möglichkeiten gibt, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Das muss auch im Online-Bereich bekannt gemacht werden. Zuletzt gab es ja Fälle, in denen Online-Kommentatoren für rassistische Beleidigungen gegen Asylbewerber wegen Volksverhetzung verurteilt wurden.

Wie kam es zur Idee ihre Jugendarbeit auch auf das Internet auszuweiten?
Wir haben in den Workshops die Erfahrung gemacht, dass sich viele Jugendliche im Gespräch auf Online-Diskussionen beziehen. Deswegen hoffen wir die Diskussionen, die wir sonst in Workshops geführt haben, auch online weiter zu führen. Aus unserer Sicht ist das Internet ein immer wichtigeres Feld, auf dem sich Jugendliche austauschen und ihre Identität sowie ihr Verhältnis zur Religion entwickeln. Das Internet ist auch ein Forum, auf dem Jugendliche Selbstwirksamkeit erfahren, indem sie sofort Reaktionen auf ihre Beiträge erhalten. Hier sehen wir die Möglichkeit, Handlungskompetenzen zu fördern.

Dafür haben wir Teamerinnen und Teamer ausgebildet, die zwischen 20 und 30 Jahren alt und selbst Muslime sind. Sie bringen sich auf Facebook oder auch auf gutefrage.net in Online-Diskussionen ein, liefern Denkanstöße und bieten andere Perspektiven an, um Probleme, wie die Diskriminierung einer kopftuchtragenden Muslimin im Schulalltag, zu lösen. Uns geht es darum, Probleme konkret zu formulieren, auf Hilfsangebote zu verweisen und auch auf Berichte von Menschen, die sich erfolgreich gegen Diskriminierung gewehrt haben.

Wie sahen im Projekt „Was postest Du?“ die Schritte in die sozialen Netzwerke der Jugendlichen aus? Wie haben Sie es versucht und geschafft, sie mit ihrem Angebot zu erreichen?
Das Wichtige an dem Projekt ist, dass wir nicht versucht haben, eine neue Seite und damit ein neues Forum für Jugendliche zu schaffen. Wir haben von vielen anderen Projekten gehört, dass es schwierig ist, eine solche neue Seite aufzubauen. Deswegen verfolgen wir einen aufsuchenden Ansatz, der das Prinzip umdreht: Die Straßensozialarbeit geht dorthin, wo sich Jugendliche im öffentlichen Raum treffen. Genau so wie bei Streetwork wollen wir online dorthingehen, wo die Jugendlichen sowieso schon sind. Auf Facebook gibt es schon Gruppen, in denen sich viele junge Musliminnen und Muslime austauschen. Die Idee ist, dass sich die Teamer(innen) hier einbringen, dabei aber ganz klar auch als Projektmitarbeitende erkennbar sind. Mit diesem Ansatz erreicht man schnell viele Jugendliche. Gerade Facebook und gutefrage.net sind solche Plattformen, auf denen die Fragen der Jugendlichen behandelt werden.

Die Teamer(innen), die wir ausgewählt haben, sind online-affin. Sie haben Erfahrung und ein Gefühl dafür, wie man online auftritt, z.B. weil sie wissen, dass Bilder und Videos online mehr Aufmerksamkeit bekommen als lange Texte. Einige die schon Workshop-Erfahrung hatten, haben aber auch gesagt, dass es nichts für sie sei, ständig online präsent zu sein. Viele Teamer(innen) fanden dagegen auch reizvoll, dass diese Art der Jugendarbeit sehr lebendig, interaktiv, niedrigschwellig und spontan ist. Grundsätzlich haben wir aber die Besonderheit und Probleme der Online-Arbeit unterschätzt. Gerade in den Diskussionen um den Gazakrieg im letzten Jahr oder jetzt um Syrien sind die Teamer(innen) mit sehr brutalen Bildern und einer sehr polemischen und emotionalen Diskussionskultur konfrontiert. Oft finden sich Anfeindungen gegen Personen, die als Ungläubige bezeichnet werden. Der Umgang damit bedeutet eine höhere Belastung als es in der Workshop-Arbeit der Fall ist. In einem Workshop hat man über seine Rolle Autoritätsfunktion, online ist man ein Kommentator unter Hunderten und der Ton ist sehr rau. Man muss daher immer auch im Gespräch darüber bleiben, mit welchen Polemiken die Teamer(innen) zu tun haben.

Zu welchen Themen kommt es zu solchen Konfrontationen?
Unsere Zielgruppe sind junge Muslim(inn)en. Unter sich führen sie Diskussionen, die für sie relevant sind. In diesen Gruppen gibt es weniger rassistische Äußerungen. Eher gibt es Vorwürfe wie „Du bist ungläubig“ oder „Du bist keine gute Muslimin“. Das passiert in den Workshops nicht in dieser Art. Wir schreiben aber auch in Foren mit gemischtem Publikum. Dort tauchen dann Äußerungen auf wie: „Der Islam ist kein Teil von Deutschland“ oder „Als Muslim muss man sich nicht wundern, wenn man diskriminiert wird“. Die Religion wird in diesen Kommentaren nicht als selbstverständlich, sondern als Gefahr für die deutsche Identität wahrgenommen. Im Internet ist das alles noch mal schärfer formuliert und es wird schnell emotional, dadurch dass Kommentare oft anonym sind und man sich nicht eins zu eins gegenüber sitzt.

Wie gehen Ihre Teamer(innen) damit um, wenn sie in Online-Diskussionen z.B. auf rassistische Kommentare stoßen oder persönlich angegriffen werden?
Zu Anfeindungen, dass man kein guter Muslim sei, versuchen wir auf Beispiele bekannter muslimischer Persönlichkeiten zu verweisen, die Deutsch- und Muslimsein zusammen leben und repräsentieren. Hier gibt es Sportler(innen), Musiker(innen) und zunehmen auch Politiker(innen), die für dieses Identitätsmodell stehen. Wir versuchen damit deutlich zu machen, das es nicht die Ausnahme, sondern für die Meisten gelebte Realität und damit eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, deutsch und muslimisch zu sein, auch wenn dieses Bild nicht jedem und überall präsent ist. Bei rassistischen Kommentaren geht es genauso darum, diese Selbstverständlichkeit zu betonen, indem man z.B. als Betroffener deutlich macht: Ich bin deutscher Staatsbürger, gestalte die Gesellschaft mit und nehme meine Rechte wahr. Hier muss das Selbstbewusstsein von Muslim(inn)en gestärkt werden, um die eigene Position selbstbewusst zu formulieren.

Mehr Informationen zum Thema Diskriminierung, Hassrede und Diskussionskultur im Internet bietet das aktuelle Themenspecial von NRW denkt nach(haltig) „Nachhaltige Kommentar-Kultur im Internet – Zusammen gegen Hate Speech„.

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