„BNE-Grundlagenwissen kann sehr gut mit Lernvideos vermittelt werden.“ Nadine Dembski von der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit an der Uni Bremen im Gespräch über Bildung für Nachhaltige Entwicklung durch Online-Kurse

Die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit an der Universität Bremen engagiert sich für den bildungspolitischen Auftrag, allen Studierenden den Zugang zu Lehrveranstaltungen für Nachhaltigkeit zu ermöglichen. Sie bietet Online-Lehrveranstaltungen (sogenannte MOOCs) mit renommierten Nachhaltigkeits- und Klimaforscher(inne)n an. Die Kurse sind frei zugänglich für alle Studierenden und auch für Interessierte aus anderen Bildungskontexten. Das Besondere: Sie sind speziell für die Online-Lehre erstellt worden und zeigen so, wie Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) online aussehen kann. Nadine Dembski, Projektkoordinatorin der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit, erklärt im Gespräch mit NRW denkt nach(haltig), worin das Potenzial von Online-Kursen für BNE liegt, zeigt wie die Inhalte für ihre Online-Vermittlung aufbereitet werden und spricht von den Erfahrungen aus vier Jahren Virtuelle Akademie für Nachhaltigkeit.

Nadine Dembski, Projektkoordinatorin der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit

Nadine Dembski, Projektkoordinatorin der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit

Die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit entstand 2011, also kurz bevor dem Hype um so genannte Massive Open Online Courses (MOOCs), der aus den USA nach Deutschland schwappte. Wie kam es dazu, das Ziel für mehr BNE in der Hochschullehre über Online-Kurse erreichen zu wollen?
Wir sind an der Universität Bremen angesiedelt, die schon eine längere Tradition für das Lernen mit Videos hat. Zuerst wurden Vorlesungen als Videos aufgenommen und dann ins Netz gestellt, um Studierenden zu ermöglichen, gerade große Veranstaltungen noch einmal online nachvollziehen zu können.  Die Live-Aufzeichnungen bringen aber qualitative Probleme in Bild und Ton mit sich und haben natürlich auch eine andere Didaktik. Prof. Müller-Christ, der an der Uni Bremen den Lehrstuhl für nachhaltiges Management inne hat und dessen Vorlesungen auch aufgezeichnet wurden, fing dann an mit den Lernvideos zu experimentieren und auch gezielt Aufnahmen im Studio zu machen. So wurden mehrere Probleme auf einmal gelöst: Die Lehre in großen Veranstaltungen wurde entlastet, den Studierenden konnte ein Angebot für zeitlich und räumlich flexibles Lernen gemacht werden und die Inhalte wurden auf das Lernformat ‚Video‘ ausgerichet.

Der inhaltliche Fokus auf Nachhaltigkeit ergab sich aus dem Schwerpunkt von Prof. Müller-Christ und der UN-Dekade für Bildung für Nachhaltige Entwicklung (2005-2014). Wir haben gesehen, dass es wenig Angebot für BNE im Hochschulbereich gibt.Mit dem Videoformat haben wir schon gute Erfahrungen gemacht und auch durch Evaluationen festgestellt, dass Studierende mit Videos lernen können.  Das haben wir dann in einen Antrag formuliert und hatten das Glück, durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert zu werden. Und so die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit zu initiieren.

Die Kurse sind für Studierende aus allen Fachrichtungen und auch für Interessierte außerhalb der Universität offen. Aus welchen Bereichen kommen die Teilnehmer(innen) der Kurse und wie wird das Angebot von Nicht-Studierenden angenommen?
Das Angebot richtet sich primär an Studierende. Wir wollten nicht einfach nur lustige bunte Videos senden, sondern wir möchtenihnen auch die Möglichkeit geben, sich die Teilnahme durch eine anerkannte Prüfung und ECTS bestätigen zu lassen, da das dem Bedarf der Studierenden entspricht. Es war uns aber auch wichtig, das Angebot frei zugänglich zu machen. BNE soll ja in alle Richtungen und Bildungsbereiche gehen. Wir haben eine öffentliche Förderung für unser Projekt und können hochwertige Materialien erstellen. Dann sollen sie auch für alle erreichbar sein. Außerdem muss das Angebot frei sein, weil das Thema viel Überzeugung erfordert. Wenn man Studierenden eine Veranstaltung zum Thema Projektmanagement anbietet, sehen sie sofort den Bezug zu einer späteren Anwendung im beruflichen Kontext. Motivation dafür zu wecken, sich mit Themen der Nachhaltigkeit zu beschäftigen ist da schwieriger.

Wir bekommen aber auch viele Anfragen aus anderen Bildungskontexten, in denen die Videos ganz unterschiedlich genutzt werden. Wir bekamenzum Beispiel die Rückmeldung eines Apothekers aus Bayern, der sich in einem kleinen Projekt für nachhaltiges Wirtschaften einsetzt. Er hat eine Veranstaltung organisiert, bei der Videos aus der Lehrveranstaltung „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ von Professor de Haan (FU Berlin) zusammen angeschaut und diskutiert wurden. Darüber hat dann auch die lokale Presse berichtet.

Wir haben auch Einzelteilnehmer(innen), die nicht mehr an einer Hochschule immatrikuliert sind und Zertifikate anfragen. Auch ihnen können wir über unser Netzwerk eine anerkannte Prüfung anbieten, denn die beteiligten Hochschulen lassen in Abstimmung mit uns auch externe Prüflinge mitschreiben. Die Prüfungen finden als elektronische Klausuren an den Partnerhochschulen statt, um die Anerkennung sicher zu stellen. Allgemein ist unser Prüfungsnetzwerk für die Studierenden sehr vorteilhaft. Da kann ein Student aus Kassel, der gerade in Hamburg Praktikum macht, ohne Probleme in Bremen seine Prüfung schreiben.

Für die Kurse der Virtuellen Akademie für Nachhaltigkeit werden nicht einfach abgefilmte Vorlesungen ins Netz gestellt, sondern Sie produzieren speziell professionelle Videos mit den Lehrenden. Wie bereiten Sie die Inhalte für die Online-Kurse auf?
Wenn man sich unsere Videos anschaut, wird deutlich, dass sie sehr nah am Format der Vorlesung sind. Unsere Hauptzielgruppe der Studierenden kennt diese Art der Wissensvermittlung durch einen Lehrenden, der einen foliengestützten Vortrag hält. Aber uns ist auch klar, dass man sich das als Video keine 90 Minuten am Stück ansehen kann.

Deswegen haben wir uns für eine Taktung in drei Mal 30 Minuten entschieden. Nach einer halben Stunde lässt die Konzentration stark nach und die Episoden sind in sich abgeschlossen. Wer möchte kann natürlich auch alle drei Episoden hintereinander bearbeiten. Dabei sind die ersten zwei Episoden immer Vorträge, in denen am Anfang ganz klar gesagt wird, was gelernt werden soll. Das war teilweise auch für Lehrende neu, die ihre Vorträge dann auf Lernziele hin noch einmal neu durchdacht haben. Jede dieser Episoden endet mit Aufgaben für das Selbststudium, in denen die Lehrenden Impulse dafür geben, das Thema in einem anderen Medium zu vertiefen oder Anwendungsbeispiele durchzugehen. Die dritte Episode ist dann immer ein Interview, in dem die Inhalte der Vortragsepisoden noch mal aufgegriffen werden. Es gibt ja bei den Videos keine Möglichkeit für Fragen aus dem Publikum. Die Interviews simulieren ein bisschen die Interaktion mit Studierenden. Geführt werden sie von Fachfremden, zum Beispiel von mir oder von Studierenden. Eingegangen wird dann darauf, was in den Vortragsepisoden schwierig gewesen sein könnte, wo vielleicht ein Beispiel fehlt oder eine unbekannte Terminologie vorausgesetzt wurde. In der  Gesprächssituation kann man auch noch mal aufgelockerter hinterfragen, warum z.B. ein bestimmter Zugang zum Thema gewählt wurde.

Neben den Videos stellen wir Materialien über eine Lernplattform bereit. Wir raten dazu die Videos mit den bereitgestellten Folien als Skript durchzuarbeiten. In einem Lernbegleitheft können die Lernenden ihren Lernprozess strukturieren und festhalten, was sie durchgearbeitet haben und wo sie noch einmal nachsehen müssen. Außerdem bieten wir Selbstlerntests als kleine Online-Quizze, in denen man im Hinblick auf die Prüfung testen kann, ob man etwas wirklich verstanden hat und abrufen kann. Auch eine Probeklausur für die Abschlussprüfung stellen wir online, damit man sich mit dem computergestützten Prüfungsformat und den Fragetypen vertraut machen kann.

Die Kurse sind nicht nur für alle Interessenten offen, sondern können auch unter CC-Lizensierung weiter verbreitet werden. Was bedeutet das genau? Wer darf die Kurse der Virtuellen Akademie wie weiter verbreiten?
Die Videos und alle Materialien sind mit der CC-BY-NC-ND-Lizenz geschützt. Uns war wichtig,die Materialien frei zugänglich zu machen, aber auch auszuschließen, dass das was wir mit öffentlicher Förderung machen, hinterher kommerziell vermarktet wird. Das wäre nicht im Sinne des Steuerzahlers. Außerdem wollen wir keine Veränderung unserer Materialien, damit Aussagen von Lehrenden nicht aus dem Kontext gerissen werden. Natürlich muss bei der Verwendung auch die Namensnennung erfolgen, damit klar ist, dass die Videos aus der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit stammen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es aber gar kein Problem, wenn zum Beispiel im Rahmen eines VHS-Kurses oder eines anderen kostenlosen Angebots die Videos genutzt werden oder jemand dazu ein eigenes Seminarmit eigenen Prüfungen konzipiert. Auch für Anfragen von Unternehmen sind wir offen, bei denen sich eine Gruppe von Mitarbeitern mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen will. Da bemühen wir uns, die Materialien für die jeweilige Anfragen passend zu arrangieren, z.B. indem wir einzelne Videos für gezielte Wissensvermittlung auswählen oder eine Vorlesungsreihe zusammenstellen. Bei solchen größeren Anfragen freuen wir uns dann über Spenden, um das Angebot aufrecht erhalten zu können.

Nach dem Ende der BNE Dekade ist es ja für viele Dekade-Initiativen, wie die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit, an der Zeit, Bilanz zu ziehen und herauszuarbeiten, was in die Zukunft übernommen werden kann. Wie sehen Sie aus Ihren Erfahrungen die Position von Online-Kursen für BNE und wie wird sichdie Virtuelle Akademie in Zukunft weiter entwickeln?
Aus unseren Erfahrungen lässt sich ganz klar ableiten: BNE-Grundlagenwissen kann sehr gut mit Lernvideos vermittelt werden. Für viele Hochschulen sind die Videos ein niedrigschwelliger Einstieg in die Thematik, die auch die Möglichkeit bieten, Videos mit Präsenzlehre zu kombinieren. Das ist auch der Weg, den wir mitgehen wollen. Wir wollen weiter aktuelle Themen der Nachhaltigkeitals Videos zur Verfügung stellen, damit sich Studierende Grundlagen aneignen können. Aber wir wissen, dass das Videoformat hat auch Grenzen. Nicht alle können gut damit lernen. Aus diesem Grund wollen wir das „blended learning“-Angebot verstärken. Wir bieten dann mit den Partnerhochschulen regelmäßig Veranstaltungen an, bei denen z.B. das Thema in einem Video eingeleitet wird, aber dann in einem Wochenendseminar  Austausch und Vertiefung stattfinden können, abgeschlossen von einer Reflexionsphase,die dann wieder online ist. So können die Vorteile unterschiedlichen Lernformen sinnvoll kombiniert werden. Dabei ist und bleibt unser Ansatz, dass wir nicht nur zehn Leute hoch qualifizieren wollen, sondern Grundlagenwissen für ganz viele vermitteln möchten.

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