Vielfältig nachhaltig – Das Agenda-Fest Solingen und die Kampagne „Klimaschutz schmeckt!“

Leben braucht Vielfalt

Meine Ankunft am Solinger Alten Markt ist untermalt von Mandolinenklängen, in der Ferne ertönt Trommelmusik. Anlass für diesen ungewöhnlichem Empfang in der Stadt der Messer ist das Agenda-Fest, das seit mittlerweile 10 Jahren Nachhaltigkeitsinitiativen und BürgerInnen aus der ganzen Stadt zusammenbringt.
Neben den üblichen Verdächtigen wie attac, amnesty international oder den Wohlfahrtsverbänden tummelt sich deshalb auch eine beeindruckende Vielfalt an lokalen Initiativen auf dem Marktplatz: Imker- und Nachhilfevereine, Schulinitiativen, der Stadtjugendring, ein Mutter-Kind-Haus und jede Menge interkultureller Projekte, die ein wenig den Eindruck erwecken, als sei die Welt an diesem Tag zu Gast in Solingen.Diese Beobachtung bestätigt sich im Blick auf die Bühne, wo gerade die afrikanische Trommelgruppe „Thiosan“ in den letzten Zügen liegt, um gleich im Anschluss dem „Förderverein Freundschaft mit Thies im Senegal e.V.“ Platz zu machen. Im Laufe des Tages werden laut Programm u.a. noch Tamilischer Tanz, eine Bauchtanz-Kindergruppe, ein Magier, ein Frauenchor und eine Martial Arts-Performance zu sehen sein. Die Bandbreite dieser Auftritte verdeutlicht eindrücklich, wie sich das heutige Motto „Leben braucht Vielfalt“ im alltäglichen Miteinander umsetzen lässt. Gleiches tun die zahlreichen kulinarischen Buden, die durch einen bunten Strauss an Spezialitäten die vielen Gesichter Solingens sinnlich erfahrbar machen: Neben türkischen, portugiesischen, griechischen und tamilischen Gerichten finden sich auch Speisen aus Indien und Pakistan, aus Afrika und Israel, die die Vermutung nahe legen, dass nicht nur Liebe, sondern auch Integration durch den Magen geht – ebenso wie Klimaschutz, wie ich im Folgenden lerne:

Durch den Magen

Am Stand der Verbraucherzentrale Solingen treffe ich auf Julia Ogiermann, die dortige Umweltberaterin, die sich auf dem Agenda-Fest eingefunden hat, um die Kampagne „Klimaschutz schmeckt!“ vorzustellen. Durch ein Wurfspiel soll das Interesse der BesucherInnen geweckt werden, die sich dann – ganz im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung – durch eine kleine Wanderausstellung und Infomaterial näher zum Zusammenhang von Ernährung und Klimaschutz informieren können.
Wenn es um Ursachen und Bekämpfung des Klimawandels geht, führt die Diskussion schnell zu den ganz großen Klimasünden: Kohlekraftwerke, Autofahrten, Flugzeugreisen, Stromverschwendung. Was aber haben unsere Einkaufswägen und Kochtöpfe mit alledem zu tun? Laut Infoflyer der Verbraucherzentrale hat auch die Erzeugung und Verarbeitung unserer alltäglichen Lebensmittel einen nicht geringen Anteil am Treibhauseffekt – rund ein Fünftel der Emissionen in Deutschland geht nämlich auf unsere Ernährungsgewohnheiten zurück. Insbesondere durch weite Transportwege für Obst und Gemüse schädigen wir das Klima Tag für Tag, wie das „Bohnen-Exponat“ in der Ausstellung verdeutlicht: Denn eine Bohne aus Kenia verursacht dieselben CO2-Emissionen wie 52 Bohnen aus Deutschland. Aber auch die Verarbeitung unserer Lebensmittel greift die Umwelt an, wie z.B. die Portion Pommes, die ganze 400 g CO2 freisetzt – bei gekochten Kartoffeln sind es hingegen nur 90g CO2. Klimaschädlicher noch als jede Pommes ist jedoch unser Fleischkonsum, denn hier kommen auf ein Kilogramm Rindfleisch ganz 13 Kilogramm an Treibhausgasen.

Trotz dieser niederschlagenden Fakten gibt auch eine gute Nachricht: Da Ernährung jeden angeht, kann auch jede(r) Einzelne durch kleine Verhaltensänderungen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten – die Tipps der Verbraucherzentrale zeigen, wie es geht:

  • Der Kauf regionaler Produkte schädigt das Klima in der Regel weniger und stärkt die lokalen Wirtschaftskreisläufe
  • Auch saisonales Obst und Gemüse schont das Klima, denn Flugzeugtransporte, Gewächshäuser und Kühlketten produzieren jede Menge Treibhausgase
  • Ökologisch angebaute Lebensmittel sind in der Regel auf weniger fossile Energie angewiesen, da sie auf synthetische Dünge- und Pflanzenbehandlungsmittel verzichten
  • Statt Fleisch und Wurst sollte häufiger Obst und Gemüse auf dem Speiseplan stehen, um die CO2-Bilanz aber auch den Nährstoffgehalt der Mahlzeiten zu verbessern
  • Ähnliches gilt für fettreiche Milchprodukte wie Butter, Sahne oder Hartkäse

Die ausführlichen Tipps sind im Infoflyer der Verbraucherzentrale nachzulesen.

Mich interessiert natürlich, ob das Konzept der Verbraucherzentralen aufgeht: Können Information und Bildung zu einem Bewusstseinswandel führen? Und wie funktioniert der Schritt vom Wissen hin zum Tun? Frau Ogiermann zumindest beurteilt die Möglichkeiten der Bildung für Nachhaltige Entwicklung durchweg positiv, wenngleich nicht mit Blitzerfolgen zu rechnen ist. Insbesondere in Solingen sind die BürgerInnen zudem für den regionalen Konsum sensibilisiert, denn die Umgebung ist geprägt durch Erdbeerfelder, Streuobstwiesen, Märkte und Hofläden. Einzig der Fleischkonsum ist laut Frau Ogiermann noch ein Reizthema, hier setze das Umdenken nur langsam und widerwillig ein.
Ausschlaggebend für den sogenannten „Aha-Effekt“ sind nach Meinung von Frau Ogiermann der Alltagsbezug und die Anschaulichkeit der Bildungsangebote. Für großes Erstaunen sorgen nicht so sehr die Texte, Daten und Fakten, sondern viel eher die Ausstellungsexponate: So wie die beiden unterschiedlich großen Ballons, die die Freisetzung von Treibhausgasen bei einer pflanzlichen und einer Fleischmahlzeit aud eindrückliche Weise veranschaulichen.
Hier besteht laut Frau Ogiermann denn auch der meiste Handlungsbedarf: Das Thema Nachhaltigkeit müsse stärker im Alltag verankert werden, und das bereits in Kindergarten und Schule. Aus diesem Grund eignen Themen wie Ernährung, Recycling oder Elektroschrott besonders für Initiativen im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung, da sie sind bereits tief mit unserem Alltag verwoben sind, denn „essen muss jeder“, so Frau Ogiermann. Auch die Rolle der Medien in diesem Prozess sei laut Frau Ogiermann nicht zu unterschätzen, wie insbesondere die Lebensmittelskandale der letzten Zeit gezeigt haben. Der Übergang vom theoretischen Wissen um die Zusammenhänge hin zu einer Veränderung im alltäglichen Handeln vollzieht sich dabei jedoch nur langsam, weshalb eine kontinuierliche Arbeit am Thema auch dann gefordert ist, wenn das mediale Ablaufdatum überschritten ist.

Eine Hochburg der Nachhaltigkeit

Mit dieser Arbeit steht Frau Ogiermann jedoch zum Glück nicht alleine da, wie die Vielzahl der Stände und der stetig wachsende Besucherstrom auf dem Agenda-Fest eindrucksvoll bestätigen. Verblüfft stelle ich im Gespräch mit Frau Ogiermann fest, dass Solingen in Sachen Nachhaltigkeit ganz vorne mit dabei ist: Die Agenda-Geschäftsstelle der Stadt ist ungemein aktiv und gut vernetzt, ebenso wie die Solinger Klima-Allianz, die sich den Themen Konsum und Ernährung, Mobilität sowie Chancen für die Wirtschaft widmet und darum bemüht ist, das Thema Klimaschutz in der gesamtem Solinger Stadtgemeinde zu verankern. Dabei liegen der Allianz nach Aussagen von Frau Ogiermann gerade solche Themen am Herzen, denen gemeinhin weniger Beachtung geschenkt wird – wie zum Beispiel dem Zusammenhang von Klimawandel und Ernährung. All diese Bemühungen bleiben nicht ohne Lohn, wie die diesjährige Nominierung Solingens mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis zeigt. Und auch in der Länderstudie der Lokalen Agenda 21 (LAG 21) gilt Solingen zusammen mit Bonn und Dortmund als Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit.

Nach diesen spannenden und informationsreichen Stunden mache ich mich am frühen Nachmittag auf dem Heimweg – jedoch nicht ohne einen letzten Besuch bei den kulinarischen Buden, wo ich einige Kleinigkeiten erstehe, um zumindest einen Bruchteil der Solinger Vielfalt mit nach Hause nehmen zu können…

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